Tharsya. Die Rückkehr der roten Drachen
ja nicht wissen, dass du da warst. Was ist das übrigens für ein Baum?“
„Eine Latschenkiefer.“ Tiedel sah nicht mal richtig hin.
Lumiggl aber betrachtete den Baum ganz genau. Bei seinem nächsten Ablenkungsmanöver wollte er sicher sein, dass er nicht diese Baumart mit dem leicht verkrüppelt wirkenden Stamm und den langen dunkelgrünen Nadeln wählte.
Als sie das Plateau erreichten, ging gerade die Sonne unter. Lumiggl freute sich sehr darüber, dass der Weg nun viel flacher wurde. Jetzt würde alles viel leichter!
Mit zunehmender Dunkelheit änderte er sein Urteil aber wieder. Die Sichel des zunehmenden Mondes spendete nicht allzu viel Licht und durch das dichte Laub drang praktisch nichts davon bis zu den beiden Wanderern. Lumiggl hatte bald das Gefühl, dass jeder Baum mit voller Absicht seine Wurzeln ausstreckte, nur damit er stolperte. Schließlich geschah es: Lumiggl flog in hohem Bogen auf die Nase!
Mit einem handfesten Fluch rappelte er sich wieder auf. Das stellte an und für sich schon eine Sensation dar, denn Lumiggl fluchte praktisch nie. Er war eine Seele von Wombling, gutmütig bis zur Selbstverleugnung, oder wenigstens fast. Diesmal aber wollte er sogar noch einen zweiten Fluch hinterher schicken, als Tiedel zu ihm stürzte und ihm den Mund zuhielt. Lumiggl wunderte sich etwas über diese heftige Reaktion auf einen einfachen Fluch. Anscheinend erzog das Zwergenvolk hier seine Kinder ganz besonders streng. Als Tiedel aber mit dem Finger deutete – Lumiggl konnte den Finger im Dunkel gerade noch so erkennen – wurde klar, dass es sich hier nicht um eine Frage der Erziehung drehte: Vor ihnen schimmerte ein Lagerfeuer.
***
Andrak ließ Floritzl und Bordeker auf seinen Nacken steigen und schritt zum Ausgang der Höhle. Dort wandte er sich noch einmal zum Abschied um, dann machte er sich endgültig auf den Weg.
„Wo wollt ihr hin?“ Graldo stürzte mit seinem Kasten heran, bremste scharf vor dem Drachen und warf sich in die Brust. „Ihr wollt doch nicht etwa gehen, bevor ich das Ereignis im Bild festgehalten habe.“
„Dazu ist jetzt wirklich keine Zeit. und du malst doch ohnehin meistens aus dem Gedächtnis“, Bordeker hatte noch nie so recht verstanden, was für Probleme Graldo in manchen Dingen sah, während er in anderen mit einer Selbstverständlichkeit ins Fettnäpfchen trat und sich darin auch noch wohl zu fühlen schien.
„Na gut“, zeigte sich Graldo großzügig, „aber das haltet einen Moment still, damit ich das Bild in mir aufnehmen kann!“
Er besah sich Drache und Reiter.
„Du hast deine Ehrenkette nicht um“, wandte er sich dann an Bordeker.
„Nein“, stimmte Bordeker ihm zu.
„Siehst du, wenn ich nicht an alles dächte!“
„Aber ich hatte gar nicht vor, sie umzulegen.“
„Unsinn, das ist ein offizieller Besuch. Da musst du sie tragen!“
„Aber die Drachen kennen mich doch alle, was hätte es da für einen Sinn, das unbequeme Ding mitzuschleppen?“
„Die Etikette ...“
„Jetzt ist keine Zeit für Etikette“, ging Andrak da dazwischen. „Wir stehen kurz vor einem Krieg!“
Dass der so auf Höflichkeit bedachte Drache das sagte, ließ Graldo einen Moment verstummen. Diesen Moment nutzten Andrak und seine Reiter, um sich davon zu machen. Graldo aber marschierte noch stundenlang gewichtig auf und ab und murmelte des öfteren 'Sie hätten auf mich hören sollen.', wobei er theatralisch den Kopf schüttelte.
Dann aber öffnete er seinen Kasten und begann zu malen. Es wurde ein Bild ganz in Grauschlieren, mit einem schwarzen Klecks im oberen Drittel, der mit etwas Phantasie als Drachenkopf gedeutet werden konnte.
„Ich bin ja nicht nachtragend“, murmelte Graldo höchst zufrieden. „Auch wenn er mich angeblafft hat, er gehört nun mal aufs Bild. Da steh ich als Künstler drüber.“
Der Ritt auf Andrak erwies sich als sehr bequem. Obwohl der Drache zu Fuß gehen musste, kamen sie gut voran und hatten bald das Tal erreicht, das die Drachen für ihr Treffen gewählt hatten.
„Das ist ja so aufregend“, freute sich Floritzl. „Kommen etwa alle Drachen?“
„Alle, die nicht rot sind“, erwiderte Bordeker trocken.
„Aber das müssen ja Hunderte sein!“
„Oh nein“, Bordeker schüttelte betrübt den Kopf. „Die Drachen sind ein aussterbendes Volk. Andrak war der letzte, der geboren wurde. Und das war schon ein Wunder. Seitdem werden es immer weniger. Sie sind zwar recht langlebig, aber irgendwann ist auch ihre Zeit
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