Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
The Bone Season - Die Träumerin (German Edition)

The Bone Season - Die Träumerin (German Edition)

Titel: The Bone Season - Die Träumerin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samantha Shannon
Vom Netzwerk:
über ihn denken. Er war kein Mensch. Ob er mich verstand oder nicht, spielte keine Rolle. Er war und blieb mein Hüter. Und ein Rephait. Also alles, was er von Anfang an gewesen war.
    Der Wächter musterte mich durchdringend. »Da war noch eine Erinnerung, Paige. Bevor du ohnmächtig geworden bist.«
    »Was für eine Erinnerung?«
    »Blut. Sehr viel Blut.«
    Ich schüttelte den Kopf, zu müde, um darüber nachzudenken. »Wahrscheinlich der Zeitpunkt, als meine Sehergabe durchgeschlagen ist. Der Poltergeist hatte sehr brutale Erinnerungen.«
    »Nein, die Erinnerung habe ich gesehen. In dieser hier war wesentlich mehr Blut. Es umgibt dich, ertränkt dich.«
    »Keine Ahnung, wovon du redest.« Hatte ich wirklich nicht.
    Wieder musterte mich der Wächter stumm.
    »Schlaf noch etwas«, sagte er schließlich. »Und wenn du morgen aufwachst, konzentriere dich auf angenehmere Dinge.«
    »Wie zum Beispiel?«
    »Wie zum Beispiel deine Flucht aus dieser Stadt. Wenn die Zeit kommt, musst du bereit sein.«
    »Dann wirst du mir also helfen.« Als er nicht antwortete, riss mir der Geduldsfaden. »Ich habe für dich mein Innerstes nach außen gekehrt, habe dir mein Leben und meine Erinnerungen auf dem Silbertablett präsentiert. Trotzdem bin ich kein bisschen schlauer geworden, was deine Motive angeht. Was willst du?«
    »Solange Nashira uns beide unter ihrer Kontrolle hat, ist es besser, wenn du so wenig wie möglich erfährst. So kannst du bei ihrer nächsten Befragung getrost behaupten, dass du nichts weißt.«
    »Wovon nichts weiß?«
    »Du bist wirklich hartnäckig.«
    »Was glaubst du denn, warum ich noch lebe?«
    »Weil du an Gefahr gewöhnt bist.« Er stützte die Ellenbogen auf die Knie und verschränkte die Hände. »Über meine Motive kann ich dich nicht aufklären, aber ich kann dir etwas über die rote Blume verraten, wenn du das möchtest.«
    Dieses Angebot überraschte mich. »Dann mal los.«
    »Kennst du die Geschichte von Adonis?«
    »An Scion-Schulen werden klassische Sagen nicht gelehrt.«
    »Natürlich, entschuldige.«
    »Warte mal.« Mir waren Jaxons gestohlene Bücher wieder eingefallen. Er liebte Mythologie. Herrlich verboten nannte er sie. »War er ein Gott?«
    »Ein Günstling von Aphrodite. Er war ein attraktiver, junger Sterblicher, ein Jäger. Aphrodite war von seiner Schönheit so hingerissen, dass sie seine Gesellschaft sogar der anderer Götter vorzog. Die Legende besagt, dass ihr Geliebter, der Kriegsgott Ares, so eifersüchtig wurde, dass er sich in einen wilden Eber verwandelte und Adonis tötete. Er starb in Aphrodites Armen, und sein Blut tränkte die Erde. Während sie den Körper ihres Liebsten an sich drückte, ließ Aphrodite den göttlichen Nektar auf sein Blut tropfen. Und aus dem Blut des Adonis entsprang die Anemone: eine mehrjährige Pflanze mit kurzer Blütezeit, so rot wie das Blut selbst. Adonis’ Geist wurde, wie alle Geister, in die Unterwelt verbannt. Doch als Zeus hörte, wie Aphrodite um ihren Liebsten weinte, bekam er Mitleid mit der Göttin und verfügte, dass Adonis jeweils das halbe Jahr bei den Toten und den Rest der Zeit unter den Lebenden verbringen durfte.« Der Wächter warf mir einen prüfenden Blick zu. »Denke darüber nach, Paige. So etwas wie Monster gibt es vielleicht nicht, aber in den Tiefen eurer Mythen verbergen sich trotzdem gewisse Wahrheiten.«
    »Jetzt behaupte bloß nicht, ihr wärt Götter. Den Gedanken, dass Nashira heilig sein könnte, ertrage ich einfach nicht.«
    »Wir haben viele Eigenschaften, aber ›Heiligkeit‹ gehört ganz sicher nicht dazu.« Er zögerte. »Ich habe bereits zu viel gesagt. Du musst dich ausruhen.«
    »Ich bin nicht müde.«
    »Trotzdem brauchst du deinen Schlaf. Morgen Nacht werde ich dir etwas zeigen.«
    Ich lehnte mich in die Kissen. Okay, ich war doch müde.
    »Das heißt aber nicht, dass ich dir auf einmal vertraue«, beeilte ich mich zu sagen. »Sondern nur, dass ich es versuchen werde.«
    »Mehr kann ich nicht von dir verlangen.« Er klopfte vielsagend auf das Laken. »Schlaf gut, kleine Träumerin.«
    Länger hielt ich es nicht mehr aus. Ich rollte mich herum und schloss die Augen, in Gedanken noch immer bei roten Blumen und Göttern.
    Ein Klopfen weckte mich. Der Himmel draußen war rosa, wie blutunterlaufen. Der Wächter stand am Kamin, einen Arm auf dem Sims. Sein Blick schoss zur Tür.
    »Versteck dich, Paige«, befahl er knapp. »Schnell.«
    Ich sprang aus dem Bett und lief zu der hinter einem Vorhang verborgenen

Weitere Kostenlose Bücher