Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
The Bone Season - Die Träumerin (German Edition)

The Bone Season - Die Träumerin (German Edition)

Titel: The Bone Season - Die Träumerin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samantha Shannon
Vom Netzwerk:
kein weibliches Orakel mehr gegeben. Und ich glaube nicht, dass du eine Sibylle bist.«
    »Ich bin ein Akutomant.«
    »Und was hast du getan, etwa jemanden mit einer Nadel erstochen?«
    »So was in der Art.«
    Draußen krachte es, dann folgte ein grauenhafter Schrei. Sofort hörten alle auf zu reden.
    »Das ist ein Berserker«, meldete sich schließlich eine ängstliche, männliche Stimme. »Die werden uns doch nicht mit einem Berserker zusammenstecken, oder?«
    »So etwas wie Berserker gibt es nicht«, erklärte ich.
    »Hast du denn nicht das Flugblatt Über die Vorzüge der Widernatürlichkeit gelesen?«
    »Doch. Aber er gehört zu den rein hypothetischen Typisierungen.«
    Das schien den Jungen nicht zu beruhigen. Beim Gedanken an das Flugblatt wurde mir noch kälter. Es konnte inzwischen überall sein, wer weiß, wer es in die Finger bekommen hatte. Es war ein Erstdruck eines der aufrührerischsten Flugblätter in der gesamten Zitadelle, gespickt mit Aktualisierungen und Kontaktdaten. An so etwas wäre ich niemals herangekommen, ohne den Autor zu kennen.
    »Sie werden uns wieder foltern.« Die Flüsterin umklammerte ihren gebrochenen Arm. »Sie wollen etwas. Sonst hätten sie uns nicht rausgelassen.«
    »Wo raus?«, fragte ich sie.
    »Aus dem Tower, du Idiotin. Wo wir alle die letzten zwei Jahre eingesessen haben.«
    »Zwei?« Aus einer Ecke drang leicht hysterisches Gelächter herüber. »Wohl eher neun. Neun Jahre.« Lachen, Kichern.
    Neun Jahre. Soweit ich wusste, ließ man Gefangenen die Wahl: entweder traten sie der NVD bei oder sie wurden exekutiert. Es gab keinen Grund, warum sie die Leute einlagern sollten. »Warum neun Jahre?«, fragte ich deshalb.
    Aus der Ecke kam keine Antwort. Nach einer Minute meldete sich Julian zu Wort.
    »Fragt sich außer nur noch jemand, warum wir nicht tot sind?«
    »Alle anderen haben sie getötet.« Diese Stimme war neu. »Ich war monatelang dort. Die anderen Seher in meinem Trakt wurden alle gehängt.« Zögerliche Pause. »Wir wurden für etwas ausgewählt.«
    »Sci SORS «, flüsterte jemand. »Wir sollen als Laborratten herhalten, stimmt’s? Die Ärzte wollen uns aufschneiden.«
    »Wir sind hier nicht bei Sci SORS «, widersprach ich.
    Das folgende Schweigen wurde nur von dem bitterlichen Weinen der Handleserin durchbrochen. Anscheinend konnte sie gar nicht mehr aufhören. Schließlich wandte sich Carl an die Flüsterin: »Du meintest, sie würden irgendetwas wollen, Zischlerin. Was könnte das sein?«
    »Alles Mögliche«, erwiderte sie. »Unsere Zweitsicht.«
    »Sie können uns nicht die Zweitsicht nehmen«, wandte ich ein.
    »Ach, bitte. Du verfügst ja nicht mal über Zweitsicht. Und verkrüppelte Seher wollen sie bestimmt nicht.«
    Am liebsten hätte ich ihr auch noch den anderen Arm gebrochen.
    »Was hat sie mit dem Teeblattleser gemacht?« Die Handleserin zitterte unkontrolliert. »Seine Augen … und sie hat sich nicht einmal bewegt!«
    »Tja, ich war mir ja sicher, dass sie uns umbringen würden«, sagte Carl in einem Tonfall, als wäre ihm schleierhaft, warum wir anderen uns Sorgen machten. Seine Stimme war jetzt schon kräftiger. »Mir ist alles lieber als der Galgen, und euch?«
    »Wir können immer noch am Galgen landen«, gab ich zu bedenken.
    Da sagte er nichts mehr.
    Ein anderer Junge, der so blass war, als hätte das Flux das gesamte Blut in seinem Körper verbrannt, fing an zu hyperventilieren. Seine Nase war mit Sommersprossen übersät. Bisher hatte ich ihn gar nicht bemerkt, denn er hatte nicht einmal den Ansatz einer Aura. »Wo sind wir hier?« Es gelang ihm kaum, die wenigen Worte hervorzupressen. »Wer … wer seid ihr alle?«
    Julian warf ihm einen flüchtigen Blick zu. »Du bist amaurotisch«, stellte er fest. »Warum haben sie dich geschnappt?«
    »Amaurotisch?«
    »Wahrscheinlich ein Missverständnis.« Das Orakel klang gelangweilt. »Sie werden ihn trotzdem umbringen. Pech gehabt, Kleiner.«
    Jetzt sah der Junge aus, als würde er gleich in Ohnmacht fallen. Er sprang auf und zerrte an den Gitterstäben.
    »Ich sollte gar nicht hier sein. Ich will nach Hause! Ich bin nicht widernatürlich, ich nicht!« Er war den Tränen nahe. »Das mit dem Stein tut mir doch leid!«
    Schnell hielt ich ihm den Mund zu. »Hör auf.« Einige von den anderen beschimpften ihn leise. »Oder soll sie dich etwa auch ausquetschen?«
    Er zitterte. Meiner Schätzung nach war er ungefähr fünfzehn, aber einer von den schwächlichen Fünfzehnjährigen. Das zwang mich, an

Weitere Kostenlose Bücher