The Bone Season - Die Träumerin (German Edition)
weiterhin mein Eigentum.« Der Wächters starrte den Oberaufseher direkt an. »40 ist eine Traumwandlerin. Eben jene Traumwandlerin, die du in diese Kolonie bringen solltest. Ich werde nicht gestatten, dass sie wie ein gewöhnlicher Prophet bei den Abgesandten von Scion vorgeführt wird. Das ist eine Aufgabe für deine Menschen, aber nicht für meinen.«
Nun war dem Oberaufseher das Lächeln vergangen.
»Auch gut.« Ohne mich noch eines Blickes zu würdigen, verbeugte er sich. »Komm, 12. Deine Prüfung wartet.«
12 heftete den Blick auf mich und zog fragend eine Augenbraue hoch. Ich nickte. Dann drehte er sich um und lief entspannt hinter dem Oberaufseher her zurück zu den Hütten. Offenbar hatte er keine Angst vor dem, was ihm bevorstand.
Der Wächter musterte mich prüfend. »Du kennst das Orakel?«
»Nein.«
»Er hat dich keinen Moment aus den Augen gelassen.«
»Vergib mir, Meister «, erwiderte ich spöttisch, »aber ist es mir nicht erlaubt, mit anderen Menschen zu sprechen?«
Noch immer fixierte er mich. Unwillkürlich fragte ich mich, ob die Rephs vielleicht nicht wussten, was Sarkasmus ist.
»Doch«, sagte er schließlich, »das ist erlaubt.«
Ohne ein weiteres Wort glitt er an mir vorbei.
Kapitel Elf
V ON T RÄNEN
Ich schlief nicht besonders gut. Dazu war der pochende Schmerz in meiner linken Schläfe einfach zu stark. Also lag ich im Bett und sah zu, wie die Kerze herunterbrannte.
Der Wächter hatte mich nicht sofort auf mein Zimmer geschickt. Zunächst hatte er mir ein wenig Essen und Wasser angeboten, was ich allein schon deswegen annahm, weil ich völlig ausgetrocknet war. Dann hatte er sich ans Feuer gesetzt und stumm in die Flammen gestarrt. Erst nach ungefähr zehn Minuten traute ich mich zu fragen, ob ich mich zurückziehen dürfe, was er mit einer knappen Geste gestattete.
Oben war es kalt. Die Fensterscheiben waren dünn wie Papier und undicht. Zitternd wickelte ich mich in die Bettdecke, und nach einiger Zeit nickte ich ein. Die Worte des Wächters ließen mich einfach nicht los – dass er Tod und Eis in meinen Augen sehe. XX -12s Schnappschüsse tauchten immer wieder auf, noch eingebrannt in meine Traumlandschaft. Ich hatte schon ein paar Orakelbilder gesehen. Einmal hatte Nick mir einen Schnappschuss gezeigt, in dem ich von einem niedrigen Dach fiel und mir das Fußgelenk brach, was eine Woche später auch eingetreten war. Danach zweifelte ich nie wieder an seinen Wettervorhersagen.
XX -12 hatte mich für Mitternacht zu einem Treffen bestellt, und ich sah keinen Grund, warum ich das nicht tun sollte.
Als ich aufwachte, schlug die Uhr elf. Ich wusch mich, zog mich an und ging hinunter. In den Räumen des Wächters war alles still. Die Vorhänge waren offen und ließen die letzten Sonnenstrahlen herein. Nach mehreren Tagen fand ich nun wieder eine seiner Nachrichten auf dem Schreibtisch.
Bringe so viel wie möglich über die Emim in Erfahrung.
Mich überlief ein kalter Schauer. Wenn ich etwas über die Summer herausfinden sollte, konnte das nur heißen, dass ich ihnen irgendwann begegnen würde. Es bedeutete aber auch, dass ich mich ungehindert mit 12 treffen konnte. In gewisser Weise würde ich damit sogar die Anweisung befolgen, immerhin hatte 12 gerade seine zweite Prüfung absolviert. Was er in der Nacht wohl schon gesehen hatte? Endlich würde ich ein paar verlässliche Angaben zu den Emim bekommen. Vorausgesetzt, 12 war nicht besiegt worden.
Kurz vor Mitternacht ging ich zur Wendeltreppe und zog die Tür hinter mir zu. Zeit für meine Hausaufgaben.
Das Mädchen am Tor grüßte mich nicht einmal. Als ich sie um mehr Numa bat, händigte sie mir zwar welche aus, behandelte mich aber weiter von oben herab. Offenbar war sie immer noch wütend wegen der Sache mit der Sirene.
Draußen war es kühl, die Luft schwer mit Feuchtigkeit. Ich ging ins Hüttenviertel und besorgte mir Frühstück – Suppe im Pappbecher. Im Gegenzug musste ich mich von einigen Nadeln und Ringen trennen. Nachdem ich ein paar Schlucke runtergewürgt hatte, machte ich mich auf den Weg zu dem Gebäude, das die Clowns Hawksmoor nannten, die riesige Steinwache der Bibliothek und ihr Innenhof.
12 wartete hinter einer der Säulen, er trug eine saubere rote Tunika. Auf einer Wange hatte er eine Schnittwunde. Als er den Becher in meiner Hand entdeckte, zog er skeptisch eine Augenbraue hoch.
»Du isst das?«
Ich nippte daran. »Wieso, was isst du denn?«
»Was mein Hüter mir gibt.«
»Wir sind eben
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