The Cocka Hola Company: Roman
Als Berlitz erst an der Klinke der Ateliertür rüttelt und dann an die Tür hämmert wie ein Wahnsinnniger, nimmt Simpel gerade den letzten Buchstaben von NATION in Angriff. Simpel muss fünf Sekunden lang herumfummeln, bis es ihm gelingt, die Maschine abzuschalten. Zu spät. Nur ein tauber Berlitz hätte das Summen und Simpels Hantieren überhört. Die Wände und Türen in dieser Bruchbude von Ateliergebäude sind sehr hellhörig. Nachdem er einige Zeit lang Berlitz’ Geklopfe und Gebrülle gelauscht hat (ICH WEISS, DASS IHR DA DRIN SEID! ICH HAB EUCH GEHÖRT! MACH AUF, MONICA! MACH DIE VERFLUCHTE TÜR AUF! KOMM SOFORT RAUS, MONICA! KOMM RAUS, VERDAMMTE SCHEISSE! HAB ICH DOCH GEWUSST, DASS DU MIT ANDEREN TYPEN RUMVÖGELST! DU SAU! KOMM SOFORT RAUS! usw.), hat er keinen Nerv mehr für die Nummer.
– Verpiss dich, sagt er leise, aber vernehmlich.
Berlitz wird eine solche Antwort oder jedenfalls etwas, das seine Fantasien bestätigt, erwartet haben. Vor der Ateliertür herrscht Mucksmäuschenstille. Dann hört Simpel ihn abziehen. »Egal, wen der jetzt holt, das dauert eine Weile. Bis die hier sind, bin ich weg«, denkt Simpel. In der Tat, Berlitz sitzt im Taxi und fährt zu seinem Bruder im Geiste Göran Persson, der auf der anderen Seite der Stadt wohnt: Sie werden eine gute halbe Stunde brauchen. Persson ist streitlustiger denn je und bereit, sich an egal wem auszutoben. Er hat die Ereignisse vom Infomeeting letzte Woche noch keineswegs verarbeitet – es sei denn, man hält eine Überdosis Xanax und gesteigerten Pornokonsum für eine geeignete posttraumatische Behandlung.
Also muss man Persson heute Nacht nicht lange bitten. Berlitz muss ihn nicht mal wecken, er ist wach und – ja, was tut er? Große Überraschung! – masturbiert aggressiv vor einem laufenden Pornovideo. Allerdings bittet er Berlitz, kurz zu warten, er müsse sich erst schnell anziehen. Berlitz pfeift drauf, was Persson treibt, es interessiert ihn nicht die Bohne. Dennoch ist es eine Lüge, in Wirklichkeit muss Persson sich was aus ziehen, nämlich ein relativ schlichtes, aber nicht so schnell zu lösendes Seil- und Knotensystem, in das er sich eingeschnürt hat: eine Schlinge um den Hals, von der das Seil über den Bauch zum fest umwickelten Hodensack führt, danach durch den Schritt und über den Rücken wieder hoch zum Hals. Er fummelt es ab, zieht rasch seine Altmännerkleidung an und lässt Berlitz ein. Nur hat er in der Hitze des Gefechts vergessen, die gestrige Zeitung wegzunehmen, die als Spermafänger vorm Fernseher auf dem Parkett liegt. Im Bruchteil einer Sekunde ist Berlitz klar, was das bedeutet, Zeitung-am-Boden-vor-flimmerndem-Fernseher-und-Videoplayer-mit-blinkendem-OPERATE-im-Display; Perssons Tarnoperation ist aufgeflogen. Da hätte er gleich die Tür in seinem Bondagekostüm aufmachen und sich den Stress mit dem Umziehen sparen können. Berlitz schildert ihm in kurzen Zügen, was ansteht, worauf Persson ohne weitere Fragen oder Einwände einen alten Baseballschläger aus dem Schrank holt und Berlitz in den Keller schleift, wo neben anderen Reliquien aus der Kindheit des verlorenen Sohns auch Speedos schäbiges rotes Klappfahrrädchen von vor neunundzwanzig Jahren steht, von dem sie in aller Hast die Kette runterbrechen. Raus ins Taxi, das Berlitz hat warten lassen. Der Fahrer muss aus Pakistan kommen.
Zu Berlitz’ und Perssons Pech ist Simpel schon fertig, als sie bei TEXTIL 16 ankommen – der Schriftzug Fasci NATION prangt quer über Monica B. Lexows Bauch. Und Simpel hat fast zehn Minuten Vorsprung. Nicht einzuholen. Er hat die Tür offen stehen lassen, die beiden Rächer können ungebremst in Monicas Atelier rennen. Als Berlitz die Dekoration auf dem Schwabbelbauch seiner Gattin sieht, bleibt er wie angenagelt stehen, sperrt den Mund auf und sucht in seinem sauber getrimmten Bart Halt. Persson rennt im Atelier auf und ab und flucht wie ein Räuber. Sie fühlen nach ihrem Puls, ob sie überhaupt noch lebt, und rufen den Notarzt.
Früh morgens um halb sechs ist Monica B. Lexow schon drei Mal der Magen ausgepumpt worden, und sie lässt erste Lebenszeichen erkennen. Berlitz hat mit dem Stationsarzt gesprochen, der ihm schon einen Kostenvoranschlag für die laserchirurgische Entfernung des Tattoos unterbreitet hat. Um sechs kommen zwei Ermittler, um Berlitz, der Anzeige erstattet hat, zu vernehmen. Göran Persson, dessen Anwesenheit nicht mehr vonnöten ist, nimmt ein Taxi nach Hause. Als die Ermittler zur
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