The Curse - Im Schatten der Schwestern (German Edition)
du vergessen, dass wir heute helfen sollen, die Weidezäune hinter den Ställen zu reparieren?“, fragte Kyle und schob sich an Payton vorbei in den Raum. Als er mich bemerkte, blieb er überrascht stehen, und seine Augen wurden groß. Ungläubig wanderte sein Blick von mir zu Payton, auf dessen falsch geknöpftes Hemd und wieder zurück zu mir.
„Was …?“
„Hallo, Kyle“, grüßte ich verlegen und versuchte fieberhaft, mir einen guten Grund für die Anwesenheit in Paytons Zimmer zu überlegen, aber dies war gar nicht nötig.
„Ich wollte gerade mit Sam in die Halle kommen, als einer von Ross’ Kötern mich ansprang und mein Hemd von oben bis unten mit seinen dreckigen Pfoten beschmierte. Ich musste mich umkleiden.“
Ich nickte eifrig, und, auch wenn ich ganz deutlich sah, dass Kyle seinem Bruder kein einziges Wort glaubte, so nickte dieser doch einfach nur und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Aye, ich verstehe, bràthair. Wenn du dann das für die Arbeit an den Zäunen unbedingt nötige saubere Hemd anhast, solltest du Samantha in Vaters Gemach bringen und dann deinen Arsch in die Halle bewegen. Die Zäune müssen noch kurz warten, wir haben Gäste.“
Damit lächelte er mich an und boxte Payton gegen die Schulter, als er rückwärts hinausging.
„Er weiß es, oder?“, fragte ich.
„Aye, er weiß es. Zum Glück ist es nur Kyle. Er wird schweigen.“
„Woher willst du das wissen?“
„Wir stehen uns sehr nahe. Blair und Sean halten zusammen, weil sie die Älteren sind. Mich und Kyle verbindet dieses Gefühl, die Großen nur zu stören. Wir passen aufeinander auf und helfen einander, so ist das schon immer gewesen.“
Mir wich sämtliche Farbe aus dem Gesicht. Paytons einfache Erklärung, die Selbstverständlichkeit, mit der er die Treue seines Bruders voraussetzte, und die Liebe zu ihm, die dabei in jedem Wort mitschwang, waren mehr, als ich ertragen konnte.
Wie sollte ich Kyle, den Sonnenschein, dessen ganzes Leben noch vor ihm lag, wissentlich in den Tod laufen lassen? Wie konnte ich das zulassen? Aber ich hatte doch keine Wahl. Konnte nicht riskieren, die Zukunft so gravierend zu verändern. Sein Tod würde eine Lawine an Geschehnissen auslösen, und ich wagte nicht, den Lauf der Dinge derart zu verändern – vielleicht meine eigenen Wurzeln dabei zu kappen.
Obwohl ich also nichts tun konnte, um das Schicksal dieser Brüder zu ändern, musste ich etwas unternehmen. Ich durfte nicht zulassen, dass Payton zweihundertsiebzig Jahre lang von Schuldgefühlen geplagt werden würde. Ich musste ihm irgendwie schon vor unserem Wiedersehen Vergebung und Hoffnung zuteilwerden lassen.
„Kommst du?“, riss mich seine Frage aus meinen Gedanken.
„Was?“
„Kommst du? Wir sollten uns beeilen, um nicht noch mehr Aufsehen zu erregen.“
Ich nickte, weil ich meiner Stimme nicht traute. Mir war zum Heulen zumute. Wo war Indiana Jones eigentlich, wenn ich ihn brauchte? Selbst seine innere Stimme, die mich über so lange Zeit begleitet hatte, war verstummt. War er etwa genauso ratlos wie ich?
Als wären wir niemand anderes als Payton McLean und die Gefangene Samantha Cameron, liefen wir wie Fremde nebeneinander her. Stets darauf bedacht, uns nicht beiläufig zu berühren oder auch nur anzusehen. Niemand sollte merken, wie nahe wir uns in der letzten Nacht gekommen waren.
Vor Fingals Zimmer angekommen, zwinkerte Payton nur kurz und versprach, mich heute Abend zum Essen in der Halle abzuholen, ehe er mich der Gesellschaft seines Vaters überließ.
„Samantha, bitte komm’ herein. Ich war so frei, mir die Breipackung bereits abzunehmen. Wenn du mir nur dabei behilflich sein könntest, einen frischen Verband anzulegen.“
Ich trat an den Waschtisch und nahm einen sauberen Leinenstreifen aus dem Korb, welchen Nanny MacMillan dort bei ihrer überstürzten Flucht stehen gelassen hatte. Schweigend und noch immer in meine düsteren Gedanken versunken, wickelte ich den Stoff mehrfach fest um Fingals Brust. Die Wunde war dabei, sauber zu verheilen. Später würde nur eine kleine Narbe bleiben und zeigen, dass ich in dieser Zeit überhaupt existiert hatte.
„Lassie, du siehst betrübt aus. Ängstigt dich etwas?“
Fingal zu sagen, was ich empfand, würde sein Vorstellungsvermögen bei Weitem übersteigen. Angst würde also als Erklärung herhalten müssen, und so nickte ich.
„Du musst dir keine Sorgen machen. Ich habe dich unter meinen Schutz gestellt – und damit nicht genug.“ Er
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