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The Cutting

The Cutting

Titel: The Cutting Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Hayman
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schwarzes Loch, wie ein zerflossener Tintenklecks aus einem Rorschach-Test. In den Sekundenbruchteilen, bevor er starb, huschte ein Ausdruck ungläubigen Staunens über das breite Gesicht des Schützen.
    Eine Krankenschwester und zwei Assistenzärzte in weißen Kitteln kamen ins Zimmer gestürmt, gingen neben dem immer noch atmenden, blutüberströmten Kevin Comisky in die Knie und begannen fieberhaft mit der Erstversorgung. McCabe ließ den Blick zur Zimmertür wandern. Maggie hatte sich nicht von der Stelle gerührt, stand immer noch da wie Grace Kelly in Zwölf Uhr mittags. Sie hielt ihre Waffe mit beiden Händen umklammert und zielte immer noch auf den Toten auf dem Fußboden, bereit, erneut zu schießen, als könne sie noch nicht glauben, dass er wirklich tot war. McCabe verdrängte seine Schmerzen, die in Wellen kamen und gingen.
    Während die Mediziner um Kevin Comiskys Leben kämpften, verspürte er einen Funken Hoffnung, dass dieser überleben würde. Vielleicht waren die Ärzte noch rechtzeitig gekommen. Er ertappte sich sogar bei einem stillen Gebet, welches jedoch nicht erhört wurde. Nach ein, zwei Minuten hob der Doktor – der für McCabe aussah wie vierzehn – den Blick, schüttelte den Kopf und sagte: »Er ist tot.«
    »Sind Sie sicher?«
    »Ja.«
    »Scheiße.«
    Sophie lag still im Bett und atmete gleichmäßig. Sie hatte von alledem nichts mitbekommen. McCabes Blick wanderte zurück zur Leiche des Schützen. »Zu schade, dass wir ihn nicht lebend erwischt haben«, sagte er gleichermaßen zu sich selbst und zu Maggie.
    »Arschloch«, erwiderte Maggie und ließ endlich die ausgestreckten Arme sinken. Sie holte tief Luft und machte die Augen zu. »Wenn du jetzt in diesem Moment irgendetwas zu sagen hast, McCabe, wie wär’s dann einfach nur mit einem schlichten Danke?« Ihre Stimme klang angespannt und beherrscht. Er wusste, dass sie noch nie zuvor auf einen Menschen geschossen hatte. Er wusste, dass das alles andere als einfach war.
    »Danke.«

35
    Draußen gab es Autos, Bäume, Menschen, Musik, aber für Lucinda existierte kein Draußen mehr. Am Anfang hatte sie es mit Singen probiert. Schullieder, Freizeitlieder, Rock and Roll. Alles, woran sie sich erinnern konnte, so laut wie nur irgend möglich. Der Klang ihrer eigenen Stimme war tröstlich, erinnerte sie daran, dass sie immer noch am Leben war, dass sie immer noch existierte. Ich singe, also bin ich. Sie hatte gehofft, dass die Singerei ihren Entführer ärgern würde. Und so war es auch. Er hatte ihr zur Strafe wehgetan. Einmal hatte er ihr die Oberschenkel und die Brüste verbrannt. Kleine, runde Brandstellen, die verkrustet waren und immer noch wehtaten. Er hatte gesagt, dass er ihr, wenn sie noch einmal so einen Lärm machte, das Gesicht verbrennen würde.
    Jetzt lag sie stumm da und versuchte vergeblich, mit Hilfe ihrer Erinnerungen den dumpfen Schmerz zu verdrängen, versuchte zu verhindern, dass die Stille jedes bisschen Verstand zunichtemachte. Sie konzentrierte sich auf ihre Kindheit, durchlebte jeden Tag noch einmal neu, wollte sich alle Einzelheiten ins Gedächtnis rufen. Heute war ein Sonntag im Sommer. Sie war vier, Patti sieben Jahre alt. Sie saßen am Küchentisch des weißen Holzhauses in der Keepers Lane in North Berwick. Zwei Jahre danach waren sie aus diesem Haus ausgezogen, aber das kam später. Heute machte Daddy, der sonntags immer vor Mommy aufstand, Blaubeerpfannkuchen zum Frühstück. Sie liebte Blaubeerpfannkuchen. Bei dem Gedanken lief ihr das Wasser im Mund zusammen.
    Zwischen Daddys Lippen baumelte die unvermeidliche Zigarette, eine unfassbar lange Aschenspitze hing über dem Pfannkuchenteig, und der Duft nach frischem Tabak erfüllte den Raum. Patti warnte Daddy, dass sie die Pfannkuchen nicht essen würde, falls die Asche in den Teig fiel. Er hielt eine Hand darunter und ging zur Spüle, holte die Zigarette aus dem Mund und hielt den winzigen Stummel unter den Wasserhahn, um die Asche wegzuspülen und die letzte Glut zu löschen. Ein paar Jahre später sollten die Zigaretten ihn umbringen, aber jetzt war es noch nicht so weit.
    Es war das Jahr, in dem Daddy ihnen das Pony geschenkt hatte. Ihr und Patti. »Ein kleines Ding«, hatte er gesagt, aber für Lucy hatte es ganz schön groß ausgesehen. »Nur dreizehn Handbreit hoch. Fünfzehn Jahre alt.«Dreizehn mal wessen Hände, hatte sie sich gefragt. Bestimmt nicht ihre, die so klein waren im Vergleich zu seinen. Und Pattis waren auch kaum größer.
    Sie tauften

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