The Cutting
das Pony Keener. Der Name kam ihr komisch vor, aber Patti, die in solchen Dingen immer besser Bescheid wusste, erklärte ihr, dass Daddy das Pony auf einer Farm bei Keene in New Hampshire gekauft hatte. Deshalb sei er ein »Keener«, so wie man die Leute aus Maine ja auch »Mainer« nannte.
Keener war ein Leopard Appaloosa, grau mit dunklen Flecken überall. Als die Jüngste war Lucinda die Erste, die ihn reiten durfte. Daddy hob sie hinauf in den glänzenden, braunen Ledersattel. Englisch, nicht Western. Kein Sattelknauf zum Festhalten, sagte er zu ihr, nur die Zügel. Er stellte die Steigbügel auf die richtige Höhe ein. Schob ihre Füße auf beiden Seiten hinein. Dann ging es los. Daddy hielt das Pony am Zaumzeug fest. Er ging nebenher und redete die ganze Zeit mit sanfter Stimme, sagte ihr, dass sie den Rücken gerade halten sollte und dass sie Keener spüren lassen sollte, wer der Chef war. Nach einer Weile, ohne dass sie es bemerkte, ließ er das Zaumzeug los, und zum ersten Mal in ihrem Leben ritt sie ganz alleine. »Kein Grund, Angst zu haben«, sagte Daddy. »Kein Grund, Angst zu haben.«Kein Grund, Angst zu haben.
Nur die Schwärze und der Mann, der zu ihr kam und Dinge mit ihrem Körper anstellte und ihr manchmal auch wehtat. Nichts zu essen. Bloß so ein ekliges Schokoladenzeug aus der Dose, das ihr Durchfall verursachte. Zum tausendsten Mal machte sie eine Liste mit den Dingen, die sich hier im Zimmer befanden. Dinge, die sie nicht sehen konnte, von denen sie aber wusste, dass sie da waren. Das wichtigste war die Flasche Gatorade auf dem Holztisch neben dem Bett. Er hatte ihr gesagt, wo sie stand. Einmal hatte sie sie umgeworfen, als sie danach getastet hatte. Danach musste sie das klebrige Zeug vom Boden aufwischen. Er hatte sie dafür geschlagen.
Das einzige andere Ding, das sie finden konnte, war der Eimer in der Ecke, den sie als Toilette benutzte, und die Rolle Klopapier direkt daneben. Wahrscheinlich leerte er ihn aus, wenn er kam. Zumindest schien es im Zimmer nicht zu stinken.
Beim ersten Mal hatte er sie hingeführt. Hatte ihr die Hand gehalten, während sie sich darauf niedergelassen und gepinkelt hatte. Sehr merkwürdig, im Dunkeln zu pinkeln, während ihr Gefängniswärter ihr die Hand hielt, damit sie nicht umkippte. Er führte ihre Hand zu der Papierrolle, zeigte ihr, wo sie war, damit sie sich abwischen konnte. Die Flasche und der Eimer, das Bett und der Stuhl. Das war alles. Ihr gesamtes Universum. Jenseits davon nichts als Dunkelheit, Erinnerungen und die Besuche des Mannes.»Wann kommst du wieder?«, fragte sie sich. Sie sehnte sich nach einer Sinneswahrnehmung. »Vielleicht, wenn ich den Sex richtig gut mache, wenn ich dir Vergnügen bereite, vielleicht wirst du mich dann nicht ganz so schnell, schnell, schnell, schnell, schnell, schnell …« Sie wiederholte dieses eine Wort immer und immer wieder, aber sie brachte es nicht über sich, das darauffolgende auszusprechen.
36
Mittwoch, 11.00 Uhr
»Sie haben mich für die Dauer der Untersuchung an den Schreibtisch verbannt.« Maggie kam aus Al Blanchards Büro und zog die Tür hinter sich zu. Blanchard war der einzige feste Mitarbeiter der Dienststelle für Interne Ermittlungen im Portland Police Department. Unterstützt wurde er bei Bedarf und immer im Wechsel von einem Sergeant der Schutzpolizei. »Mit dem Fall habe ich bis auf weiteres nichts zu schaffen.«
»Scheiße«, meinte McCabe, mehr zu sich selbst als zu Maggie.
Er saß auf dem Flur und wartete darauf, selbst hineingerufen zu werden.
Maggie setzte sich neben ihn. »So sind die Vorschriften«, sagte sie. »Ich habe meine Dienstwaffe benutzt. Es obliegt der Internen Ermittlung festzustellen, ob der Schusswaffengebrauch angemessen war und ob es wirklich notwendig war, ihn zu töten.«
»Das war es.«
»Ich habe mich nicht bemerkbar gemacht. Ich habe nicht ›Keine Bewegung!‹ gerufen. Ich habe bloß gesehen, wie er mit diesem Messer auf deinen Hals losgegangen ist, und hab abgedrückt.«
»Wenn du das nicht gemacht hättest, dann hätte er mich umgebracht«, sagte McCabe. »Comisky hatte er schon erledigt.«
»Ich hätte ihn auch nur verletzen können.«
»Du musstest auf den Kopf schießen. Hättest du niedriger gezielt, dann hättest du mich getroffen. Du hast alles richtig gemacht. Dieser Typ war die Inkarnation des Bösen, verdammt noch mal.«
Sie dachte über seine Worte nach. »Du hast Recht«, meinte sie dann und nickte unsicher. »Blanchard hat gesagt,
Weitere Kostenlose Bücher