The Cutting
einen Blick durch das Fenster werfen, durch das Sie Katie Dubois beobachtet haben. Wenn Sie nichts dagegen haben.«
»Nein, ich hab nichts dagegen. Solange Sie nichts gegen das Durcheinander im Schlafzimmer haben.«
Zu dritt stiegen sie die Treppe in den ersten Stock hinauf und betraten ein kleines Schlafzimmer, das zur Straße hinausging. Was das Durcheinander betraf, hatte Mrs. Rafferty Recht gehabt. Das Bett war zerwühlt. Auf dem Stuhl vor dem Fenster türmten sich Kleiderberge. Die alte Frau packte den ganzen Stapel und warf ihn aufs Bett. McCabe setzte sich und schaute zum Fenster hinaus. Er hatte freien Blick auf die Eingangsterrasse des Hauses auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Aber natürlich konnte Annie Rafferty mit ihrer Größe von nicht einmal einem Meter sechzig niemals so viel von Kenneys Haus erkennen wie McCabe mit seinen eins fünfundachtzig. Er rutschte ein ganzes Stück tiefer, bis er sich schätzungsweise auf ihrer Höhe befand. Selbst aus dieser Position hatte er freie Sicht auf Tobin Kenneys Eingangstreppe. Sie musste das Gesicht des Mädchens ohne Probleme erkannt haben, trotz der Dunkelheit. Es sei denn, Katie war von einem Licht an Kenneys Haus angestrahlt worden. Dann wäre sie nur als Silhouette erkennbar gewesen. Das war möglich. Ein Verteidiger würde vielleicht versuchen, daraus etwas zu machen. Aber auch, wenn Mrs. Raffertys Aussage durch nichts zu erschüttern war, bedeutete das noch lange nicht, dass Kenney ein Mörder war. Die alte Frau hatte schließlich nichts weiter gesehen als ein wütendes junges Mädchen, das aus seinem Haus gestürzt war. Lebend. McCabe hatte das Gefühl, dass die Verdachtsmomente gegen Kenney sich bereits jetzt nach und nach verflüchtigten. Maggie fragte Mrs. Rafferty, ob sie bereit wäre, in die Polizeizentrale zu kommen und dort eine offizielle Aussage zu machen. Sie sagte, sie hätte nichts dagegen. Sie vereinbarten einen Termin, und Maggie und McCabe verabschiedeten sich.
14
Sonntag, 11.30 Uhr
Die beiden Detectives verließen Annie Raffertys Haus und überquerten die Straße. Als niemand auf ihr Klingeln reagierte, gingen sie um das Haus herum und sahen Tobin Kenney auf einer Leiter stehen. Sie lehnte an einem aufgebockten, alten Holzsegelboot, dem er gerade einen Neuanstrich verpasste.
Wie viele junge Männer mit Haarausfall hatte Kenney sich den Schädel kahl rasiert, um cool und nicht glatzköpfig auszusehen. Er war schätzungsweise achtundzwanzig, neunundzwanzig Jahre alt, schlank, muskulös und mit einem flachen Bauch ohne ein Gramm Fett. Er trug eine runde Nickelbrille. Seine Jeans war voller Farbflecken und an den Knien zerrissen. Auf seinem grauen T-Shirt prangte ein Bild von einem Football und darunter die Worte UNIVERSITY OF VERMONT. SEIT 1974 UNGESCHLAGEN. McCabe fragte sich, ob ein weiblicher Teenager einen Typen wie Kenney wohl sexy fände.
»Ziemlich beeindruckende Bilanz«, sagte Maggie, während Kenney von der Leiter herabstieg. Sie deutete auf sein T-Shirt.
»Ach das«, erwiderte Kenney lächelnd. »Das ist ein Witz an der UVM. 1974 hat die Universität sich aus dem Football zurückgezogen. Sie sind wahrscheinlich von der Polizei, hab ich Recht?«
McCabe ging nicht auf seine Frage ein. »Das ist ja wirklich ein wunderschönes Boot«, sagte er.
»Das ist es allerdings«, meinte Kenney. »Eine Slup von Alden, Baujahr 1936. Ziemlich selten. Solche Boote werden heutzutage gar nicht mehr gebaut.«
»Ihr eigenes?«
»Schön wär’s. So was könnte ich mir niemals leisten. Solche Boote werden von reichen Leuten gekauft, die dann Leute wie mich damit beauftragen, sie herzurichten. Aber um auf meine Frage zurückzukommen: Sie sind von der Polizei, stimmt’s?«
»Stimmt«, sagte Maggie. »Ich bin Detective Sergeant Margaret Savage, Portland Police Department.« Sie zeigte ihm ihren Ausweis und die Dienstmarke. »Und das ist Detective Sergeant Michael McCabe. Falls Sie Tobin Kenney sind, dann würden wir gerne mit Ihnen sprechen.«
»Ja, das bin ich. Sie wollen vermutlich über Katie sprechen? Mein Gott, so eine schreckliche Geschichte.« Er entfernte sich von dem Gerüst mit dem aufgebockten Boot und ging durch den kleinen Hinterhof zu der drei Stufen höher gelegenen Holzterrasse an der Rückseite des Hauses. Maggie und McCabe folgten ihm. »Möchte vielleicht jemand ein Bier? Oder einen Eistee oder so was? Sie dürfen im Dienst wahrscheinlich keinen Alkohol trinken.«
»Nein, danke, nicht nötig«, erwiderte
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