The Cutting
noch ein Kind. Wahrscheinlich sogar ein halbwegs anständiges. Er hat sich ja schon schuldig gefühlt, weil sie ihm einen geblasen hat. Als dann ihre Leiche aufgetaucht ist, ist es bloß noch schlimmer geworden. Du hast doch gehört, was er gesagt hat. Er gibt sich selbst die Schuld. Irgendjemandem musste er es erzählen, also hat er’s uns erzählt. Womit sich für uns die Frage stellt, was wir jetzt machen sollen.«
»Ich weiß es nicht. Nach irgendeinem Typen aus Florida mit Cowboystiefeln und einem teuren Geländewagen suchen. Wenn er wirklich aus Florida kommt. Ich kann ja Cahill bitten, da unten mal nach Lexus fahrenden Ärzten zu suchen. Außerdem sollten wir ein paar Leute abstellen, um die Mädchen aus dem Fußballteam noch einmal zu befragen. Vielleicht kann sich ja die eine oder andere an den Mann erinnern. Vielleicht hat er auch nicht nur Katie angesprochen. Oder vielleicht hat jemand beobachtet, wie er mit Katie geredet hat.«
15
Sonntag, 18.00 Uhr
Einem spontanen Impuls folgend schnappte McCabe sich den T-Bird und fuhr zur West Side. Es war immer noch ziemlich hell, und an einem Sonntagabend dauerte die Fahrt vom einen Ende der Stadt ans andere keine zehn Minuten. Er nahm die Spring Street nach Westen und kam dabei am kleineren der beiden Krankenhäuser von Portland vorbei, dem Mercy Hospital. In New York brauchte man für die gleiche Entfernung manchmal eine ganze Stunde.
Als er die Trinity Street erreicht hatte, fuhr er langsam an der Hausnummer 24 vorbei und bog um die nächste Ecke. Er stellte den T-Bird außer Sichtweite ab und ging zu Fuß zurück. Das Heim von Philip und Harriet Spencer war schwer zugänglich, ein großzügiges Anwesen, umgeben von einem alten schmiedeeisernen Zaun. Er zeigte keinerlei Spuren von Rost und war in perfektem Zustand. Ein Blick auf das Haus und das Grundstück genügte McCabe, um zu wissen, dass Geld nicht das Motiv sein konnte, sollte Spencer irgendwie in die Ermordung von Katie Dubois verwickelt sein. Das Haus selbst, ein roter Backsteinbau, war rund hundert Jahre alt und besaß ein schiefergedecktes Dach sowie schwarze Fensterläden. Die anmutigen, klassischen Proportionen waren das Werk eines sachkundigen, wenn auch nicht gerade experimentierfreudigen Architekten. Die stabile Eingangstür aus poliertem Eichenholz schimmerte dunkelbraun. Sie wirkte ganz so, als könnte sie spielend jedem unwillkommenen Besucher den Eintritt verwehren, der nicht mit einem Rammbock ausgestattet war.
McCabe klingelte. Im Inneren ertönte ein Glockenspiel. Er hatte diesen Besuch nicht geplant und hoffte einfach, dass Spencer nicht zu Hause war. Er wollte sich mit dessen Frau unterhalten. Und falls das nicht klappte, bekäme er vielleicht wenigstens einen Eindruck davon, wie dieser Mann lebte. Während er wartete, ließ McCabe den Blick über das üppige Grundstück schweifen.
Jeder Quadratzentimeter des hübschen, fast schon geheimen Gartens war sorgfältig bepflanzt. Selbst an einem kühlen Septembernachmittag wie diesem leuchtete auf den Beeten mit den immergrünen Pflanzen noch eine üppige sommerliche Blütenpracht. Büschel von Margariten wetteiferten mit Astern, Herbstrosen, Fingerhüten und violetten Kornblumen um die Aufmerksamkeit des Betrachters. Die Namen der Pflanzen und Blumen hatte er auch an einem Sonntag gelernt, bei einem Ausflug mit Casey in den New York Botanical Garden in der Bronx. Selbst die lateinischen Namen hatten sich für alle Zeit in sein Gedächtnis eingebrannt. McCabe klingelte noch einmal. Immer noch keine Reaktion.
Er machte ein paar Schritte nach links und stand vor zwei hohen Fenstern, die irgendjemand geöffnet hatte, vermutlich um die frische Luft dieses kühlen Frühherbsttages ins Haus zu lassen. Offene Fenster ließen darauf schließen, dass jemand zu Hause war. McCabe duckte sich und spähte ins Zimmer. Es schien eine Art Leseraum oder Wohnzimmer zu sein. Auf einem kleinen Kirschholztischchen vor dem Fenster, dicht vor seiner Nase, lag einsam und verlassen die Sonntagsbeilage der New York Times. Das Kreuzworträtsel war halb ausgefüllt, mit Kugelschreiber. Die beiden hinteren Wände des Zimmers waren von Einbaubücherregalen gesäumt. McCabe kniff die Augen zusammen und konnte den einen oder anderen Titel erkennen. Links standen neuere Romane, Autobiografien und Gartenbücher, deren leuchtende Buchrücken dem überwiegend braunen Zimmer ein paar Farbtupfer verliehen. Die Regale auf der rechten Seite mit den einfarbigen, meist grau
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