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The Dead Forest Bd. 1 Die Stadt der verschwundenen Kinder

The Dead Forest Bd. 1 Die Stadt der verschwundenen Kinder

Titel: The Dead Forest Bd. 1 Die Stadt der verschwundenen Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: O'Brien Caragh
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schon ein Problem. Sie hatte sich noch zu keinem Jungen besonders hingezogen gefühlt, und natürlich konnte kein Junge sich zu ihr hingezogen fühlen. Kurz sah sie Sergeant Grey vor sich, und das verwirrte sie noch mehr. Sie hatte ihn nur in dieser Nacht gesehen, bei schwachem Licht. Dennoch hatte sich sein ebenmäßiges, von Schatten gezeichnetes Gesicht deutlich in ihr Gedächtnis eingeprägt. »Kein Zweifel, dass der seine Schätzchen schon gehabt hat«, dachte sie. Viele Mädchen würden sich zu diesem schönen Gesicht hingezogen fühlen, selbst wenn er im Innersten aus Stein war. Nun, es ging sie nichts an.
    Mit dem Laib an ihrer Seite, dort, wo früher an diesem Morgen noch Sonyas Baby gelegen hatte, eilte sie die Gassen Wharftons hinab nach Hause. Ihre Gedanken waren ihr Stunden voraus. Wie in aller Welt sollte sie etwas Rotes zum Anziehen finden? Zum ersten Mal seit Wochen hatte sie ein echtes, ein eigenes Ziel.

5
    Hirtentäschelkraut
    Für das Rot fand sich eine einfache Lösung. Sie nahm Farbe aus den Schneidervorräten ihres Vaters und löste sie über dem Feuer in Wasser auf. Dann warf sie ihren braunen Rock und eine weiße Tunika mit Kapuze hinein, die sie im Jahr zuvor zum Mittsommerfest getragen hatte. Beides ließ sie eine Weile im dampfenden Wasser ziehen. Der braune Rock nahm ein tiefes Fuchsrot an, der weiße Stoff aber drohte, rosa zu bleiben. Gaia rührte die Kleider mit einem Holzlöffel und fühlte den Dampf auf ihrem Gesicht. Dann setzte sie sich wieder hin und zog die Nachricht ihrer Mutter aus der Tasche.

    Die Buchstaben waren offensichtlich ein Code, von dem ihre Mutter erwartete, dass sie ihn verstand. Sie hob den Kopf und lauschte auf Geräusche jenseits der Ruhe ihres kleinen Hauses, aber da waren nur das Gedengel des Schmieds in der Ferne und im Hinterhof das leise Zwitschern eines Vogels, der zwischen den Kräutern im Beet ihrer Mutter herumhüpfte. Das kaum wahrnehmbare Quietschen des Wasserkrugs, der an seiner Kette von der Dachtraufe der hinteren Veranda hing, erinnerte sie daran, dass ihr Vater nicht mehr da war, um den schweren Krug zu heben, wenn er voll war. Nichts war in Ordnung, solange ihre Eltern fort waren, ganz gleich, wie sehr sie versuchte, ohne sie zurechtzukommen.
    Gaia hatte ihre Eltern erst verlieren müssen, um zu erkennen, wie außergewöhnlich sie doch waren.
    Ihr kleines Zuhause hatten sie wie die anderen Familien in der Sally Row mit wenig Geld gebaut, und doch war ihr Heim immer anders gewesen: das Trinkwasser ein wenig kühler, das Essen ein bisschen würziger, die Kleider wunderschön genäht. Gaias Vater hatte ein waches Auge für Schönheit wie für Funktionalität, nicht nur was den Schnitt seiner Kleider anging, sondern auch die vielen kleinen Dinge überall an und im Haus.
    Als ihre Mutter zum ersten Mal im Hinterhof Kräuter gepflanzt hatte, waren sie in der unbarmherzigen Sommersonne verwelkt, aber ihr Vater hatte Spaliere gebaut, die das Licht filterten, und für den Garten hatte er Entwässerungssysteme und perlenbehangene Kondenswasserzisternen entworfen. Er hatte den Boden mit geschnittenem Gras bedeckt, um die Verdunstung zu reduzieren, und hatte das Unkraut zurückgeschnitten. Sie sammelten den Regen vom Hausdach in einer Tonne, den Regen vom Hühnerstall in einer anderen, und wenn beide leer waren, benutzten sie das Wasser vom Bad oder der Wäsche, um den Garten zu bewässern. Es war kein perfektes System. Doch meistens gedieh ihr Garten, und sie konnten von ihren Kräutern auch den Nachbarn abgeben. Sogar eine Weide als Spielhaus für Gaia und Rindenvorrat für die Heilteemischungen ihrer Mutter hatte der Vater in den Hof verpflanzt.
    Sie erinnerte sich daran, wie sie mit neun das erste Mal Hirtentäschelkraut mit ihrer Mutter gesammelt hatte. Grashüpfer waren von dem trockenen Gras auf Gaias Rock gesprungen, und sie hatte den Stoff eng um ihre Beine geschlungen, damit sie nicht hineinspringen konnten. Als sie sich umgedreht und zurückgesehen hatte, war sie überrascht gewesen, wie Wharfton und die Enklave von fern ausgesehen hatten; eine Stadt mit einem Hügel und einer Burg, so klein, als habe man sie mit Steinen am Strand gebaut. Jenseits der Mauer konnte sie die Türme der Bastion erkennen und die obere Hälfte eines Obelisken, nicht größer als ihr ausgestreckter Daumen.
    »Gaia, bleib bei mir«, rief ihre Mutter.
    Gaia bemerkte, dass ihre Mutter auf dem Pfad, der sich zum Trockensee hinabwand, schon fast außer Sichtweite war. Ein

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