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The Dead Forest Bd. 1 Die Stadt der verschwundenen Kinder

The Dead Forest Bd. 1 Die Stadt der verschwundenen Kinder

Titel: The Dead Forest Bd. 1 Die Stadt der verschwundenen Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: O'Brien Caragh
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Dringlichkeit begann in ihrem Blut emporzukochen. Sie wandte sich ein letztes Mal zu Rita.
    »Ich muss einfach gehen«, sagte sie und eilte durch die sich auflösende Menge zur Plattform. Die Wache dort löste das Seil vom Galgen, ein Mann fing den Leichnam des männlichen Gefangenen auf und warf ihn kurzerhand mit dem Gesicht nach unten auf einen Karren. Gaia kam gerade an, als die Frau herabgelassen wurde. Gnädigerweise ließen die Wachleute die Leinensäcke über den Gesichtern der Toten. Die Schlingen aber nahmen sie ihnen ab, um sie ein andermal wieder verwenden zu können. Auch ohne einen Blick auf ihre Uhr spürte Gaia, dass die zweite Minute angebrochen war, und geriet in Panik. »Wohin bringt ihr die Leichen?«, fragte sie den Mann, der den Karren zog.
    Er sah sie an und runzelte die Stirn. »Gehörst du zur Familie?«, fragte er.
    »Ja«, log sie, »ich soll bei ihnen bleiben, bis die anderen kommen.«
    »Mir hat man gesagt, sie könnten nicht vor Sonnenuntergang«, sagte er zweifelnd. »Schämen sich zu sehr. Ich soll nur die Kadaver aus der Sonne schaffen. Wirst du mich bezahlen?«
    »Heute Abend«, sagte sie. »Mein Onkel wird dich heute Abend bezahlen.«
    Er sah sie neugierig an. »Was stimmt mit deinem Gesicht nicht?«
    Sie wandte die Wange ab.
    »Komm schon, Kleines. Was stimmt mit dir nicht?«, wiederholte er.
    Sie sah ihn geradeheraus an, mit unverhohlener Wut in ihrem Ausdruck. »Findest du wirklich, dass das in einem Moment wie diesem eine Rolle spielt?«, fragte sie kalt.
    Er griff sich kurz an die Mütze. »Nichts für ungut, Schwester«, sagte er.
    »Schnell jetzt«, sagte sie.
    Viel zu langsam nahm der Mann die beiden langen Griffe seines Karrens auf und zog ihn über das holprige Kopfsteinpflaster zu einer ruhigen Seitenstraße. Mit jedem Meter, den sie zurücklegten, fühlte Gaia ihre Hoffnung schwinden. Sie wusste, je länger das Baby ohne Sauerstoff blieb, desto größer war die Wahrscheinlichkeit, dass es einen Hirnschaden erlitt und starb.
    Am Ende einer schmalen Gasse schließlich war ein Durchgang, der so eng war, dass der Karren kaum hindurchpasste, und dahinter lag ein kleiner Hof mit einer Art Schuppen, in dem der Mann den Karren abstellte.
    »In ein paar Stunden werden sie wahrscheinlich zu riechen anfangen«, sagte der Mann. »Vor Vandalen sind sie hier aber sicher, falls du dir deswegen Sorgen machst. Du kannst in der Schenke um die Ecke warten. Von dort siehst du auch, wenn jemand kommt.«
    »Das hier ist schon in Ordnung«, sagte sie.
    Er schaute skeptisch drein, während sie sich ein leeres Fass zurechtschob, als wolle sie sich ein wenig im Schatten ausruhen.
    »Wie du meinst«, sagte er und schlenderte zurück zur Straße.
    Sobald er ihr den Rücken gekehrt hatte, trat sie in den Schuppen und schloss die breite Holztür. Einzelne Sonnenstrahlen drangen durch Spalten in der Holzwand, und durch ein spinnwebenverhangenes Fenster fiel ein weiteres Bündel schmutzigen Lichts, aber Gaia war nun so in Eile, dass sie es kaum wahrnahm.
    Sie suchte nach dem Puls der Frau, konnte aber keinen finden, und ein kurzer Blick auf den Hals der Frau überzeugte sie, dass ihr Genick gebrochen war. Gaia zerriss das Kleid der Toten und entblößte ihren blassen, fleckigen Bauch. Blassblaue Streifen zogen sich unter der Haut entlang, und eine schwere, unnatürliche Klammheit haftete ihr an, doch Gaia presste ihre Finger fest in ihren noch warmen Bauch. Sie konnte keine Bewegungen im Inneren wahrnehmen, kein Anzeichen, dass das Kind noch lebte, doch gewiss hatte das Herz des Babys weitergeschlagen und Sauerstoff durch sein Blut gepumpt, selbst, nachdem die Mutter gestorben war.
    Gaia schloss die Augen und hielt inne. Sie hatte noch nie einen Kaiserschnitt durchgeführt. Sie hatte es bei ihrer Mutter fast ein Dutzend Mal gesehen, doch nur, wenn das Leben der Schwangeren in Gefahr gewesen war, und in den meisten dieser Fälle war sie kurz darauf gestorben. Doch diese Schwangere hier war bereits tot. Es gab nichts zu verlieren, aber es bestand eine Chance – eine geringe zwar nur, aber doch eine Chance -, dass sie das Kind retten konnte. Sie erkannte, dass sie ihre Wahl bereits getroffen hatte, in dem Moment, da sie die Frau in die Schlinge hatte fallen sehen.
    Sie griff in ihre Tasche und wählte ohne zu zögern das kurze, scharfe Skalpell aus. Mit fester Hand machte sie einen flachen Einschnitt unter dem Bauchnabel der Frau und hielt die Luft an, als das dickliche, süß riechende Blut um das

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