The Haunted
ich mich beeilen und sofort umziehen müsste, wenn wir zu Hause waren, weil wir schon so spät dran waren. Am liebsten hätte ich mir die Ohren zugehalten und geschrien.
Gleich nach unserer Ankunft sprintete sie in die Küche und ich begab mich gemächlich nach oben. »Die Maxwells kommen in zehn Minuten«, rief sie mir nach. »Mach schnell!«
In meinem Zimmer steuerte ich direkt auf den Schrank zu. Ich griff automatisch nach dem ersten Teil, das mir in die Hände fiel. Es war das rosafarbene Hemdblusenkleid, das ich letztes Jahr getragen hatte, als Tante Marjorie uns zum Essen besucht hatte.
Damit konnte ich nichts falsch machen.
Ich ging ins Bad, putzte mir die Zähne, entwirrte meine Locken und griff zum Deo. Zehn Minuten waren fast um, ich hörte Autotüren schlagen. Rasch zog ich mich um und schlüpfte in schwarze Sandalen. Die Nägel an meinen Zehen hätten frisch lackiert werden müssen, aber dafür blieb jetzt keine Zeit mehr.
Dann stürmte ich nach unten, weil ich es kaum erwarten konnte, Kristens Eltern zu begrüßen. Wir hatten uns seit Monaten nicht mehr gesehen. Sie standen im Wohnzimmer bei der Couch. Abrupt blieb ich mitten auf der Treppe stehen, als ich sie entdeckte.
Mrs M. sah … älter aus. Ihre Haare, die früher nur mit einigen modischen grauen Strähnchen durchzogen gewesen waren – »meine Sturkopfsträhnchen« hatte sie sie immer genannt –, waren jetzt fast völlig ergraut. Und ihr Gesicht wirkte hager, als habe sie abgenommen. Mr M. sah nicht so schlecht aus, aber um die Augenwinkel waren mit Sicherheit ein paar neue Falten hinzugekommen. Die Trauer über den Verlust ihrer beiden Kinder zeigte sich deutlich.
Mrs M. hatte mich wohl kommen hören, denn sobald ich stehen blieb, sah sie nach oben und auf ihrem Gesicht erschien ein Lächeln. »Abbey!«
Ich flog die restlichen Stufen hinunter und umarmte sie stürmisch. »Mrs M.!« Sie drückte mich fest an sich und ich blieb einen Moment in ihren Armen, denn auch ich freute mich wahnsinnig. Dann reichte ich Mr M. eine Hand und er nahm sie, tätschelte sie und strahlte mich an.
»Wie schön, dich zu sehen«, meinte Mrs M., trat einen Schritt zurück und nahm mich in Augenschein. »Wie hübsch du bist! Wie läuft dein Sommer? Ich habe gehört, dass du Chemie büffelst, um noch ein paar Punkte zu ergattern.«
»Ja, bei mir läuft alles bestens«, sagte ich und führte sie ins Esszimmer. Wir setzten uns und gleich darauf kamen auch die anderen. »Ich helfe meinem Onkel in seiner Eisdiele und Ben, ein Klassenkamerad, gibt mir Nachhilfe für die Nachprüfung in Chemie, die ich machen muss, bevor das neue Schuljahr anfängt.« Und wissen Sie auch, warum ich weg war? Wissen Sie, was es mit dem toten Jungen auf sich hat, mit dem ich zusammen bin? Er ist echt. Und ich liebe ihn. Ich lächelte Mrs M. an und trank einen Schluck Eiswasser aus dem Glas vor mir.
Plötzlich klingelte es an der Tür. Ich sah Mom fragend an. »Wer ist das denn?«
Sie stand rasch auf. »Das sind bestimmt die restlichen Gäste.«
»Die restlichen Gäste …?« Ich warf Dad einen fragenden Blick zu. »Welche Gäste denn noch?«
»Ach, nur die Leute, die heute zum Kaffee vorbeigeschaut haben«, erwiderte Mom und ging zur Tür.
Ich wartete auf eine Erklärung von Dad, doch der zuckte nur mit den Schultern. Die übliche Geste, wenn er sagen wollte: Keine Ahnung, frag deine Mutter. Ich sah zu Mrs M. in der Erwartung, dass sie genauso neugierig war wie ich, aber sie starrte nur auf die Serviette in ihrem Schoß. Fast, als wolle sie meinem Blick ausweichen.
Interessant …
Mom kam mit einem Mann und einer Frau ins Esszimmer. Die beiden waren in Marineblau gekleidet. Sie trug einen spröden Businessanzug mit einem roten Schal, den sie sich kunstvoll um den Hals drapiert hatte, er ein marineblaues Polohemd, das perfekt zu seiner mit Bügelfalten versehenen Khakihose passte. Sie mussten ungefähr in Moms und Dads Alter sein.
»Meinen Mann haben Sie heute ja schon kennengelernt und die Maxwells auch.« Mom blieb kurz stehen und fuhr mit einer ausladenden Geste über den Esstisch. Mrs M. nickte den beiden zu und die Frau im Businessanzug lächelte überaus freundlich. »Und das hier ist meine Tochter Abigail. Wir nennen sie Abbey.«
Wir nennen sie Abbey. Was war ich denn, ein Schoßhund? Ich wollte schon etwas Patziges erwidern, hatte aber keine Zeit, meinem Ärger Luft zu machen, weil die beiden sofort auf mich zukamen. Direkt.
»Ich bin Sophie«, erklärte die Frau und
Weitere Kostenlose Bücher