The Haunted
ich war wirklich unendlich froh darüber, dass ich bei dir sein konnte. Aber was ist, wenn der Grund, weshalb ich von hier wegmusste, jetzt gar keine Gültigkeit mehr hat? Was ist, wenn ich gar nicht so durch den Wind war, wie ich dachte? Ist das überhaupt möglich?«
»Ich weiß nicht recht, ob ich verstehe, was du da sagst, Abbey. Aber was immer deine Gründe waren, ich bin sicher, dass sie Gültigkeit hatten. Das heißt nicht, dass sich Dinge nicht verändern können, dass sie nicht besser werden können. Vielleicht erkennst du deine jetzige Situation teilweise nur wegen dem, was vor drei Monaten war.«
»Das heißt, du glaubst … was? Dass ich die Erfahrungen, die ich gemacht habe, machen musste, damit es mir besser gehen kann?«
»Ich weiß nicht«, antwortete sie. »Sei einfach nicht zu streng mit dir, weil du dich durch all das durchkämpfen musstest. Du musst es auch nicht dein Leben lang mit dir herumtragen, weißt du.«
»Wie bist du so klug geworden, Tante Marjorie?«
Sie lachte. »Ich kann dir nicht alle meine Geheimnisse erzählen. Wo wäre denn da noch der Spaß?«
»Okay, okay. Ich verneige mich vor deiner Weisheit und hoffe, eines Tages von dir zu lernen.«
»Genau davon rede ich«, sagte sie.
Darüber musste ich so heftig lachen, dass ich eine Sekunde lang das Handy von mir weghalten musste. »Wo hast du das denn her?«
»Aus einem Film.«
Natürlich.
»Hey … Tante Marjorie … wie war das für dich damals«, fragte ich. »Mmmh … als du dich verliebt hast?«
Sie schaffte meinen Themenwechsel problemlos. »Das war wunderbar für mich. Aber auch entsetzlich. In meinem ganzen Leben hat mir nichts derart Angst gemacht. Ich wusste nicht, wie ich mir so sicher sein konnte.«
»Aber was ist, wenn man noch nie zuvor einen Freund hatte?«, platzte es aus mir heraus. »Wie kann man dann sicher sein?«
»Ahhh«, sagte Tante Marjorie. »Dein Freund, hmm?«
»Ich schätze, mich bringt zurzeit so einiges durcheinander.« Zum Beispiel, wie ich in einen verliebt sein kann, der tot ist.
»Ich habe immer gedacht, dass die Liebe für jeden Menschen anders ist«, meinte sie. »Aber was mich anbelangt, ich musste mich auf mein Gefühl verlassen. Im ersten Moment sah ich in deinem Onkel Gerald lediglich diesen gut aussehenden Kerl und dann wumm! Das war fast so, als hätte sich alles um mich herum auf einmal verlangsamt. Und da wusste ich Bescheid.«
Mir war völlig klar, was sie meinte. Wenn ich mit Caspian zusammen war, hatte ich genau das gleiche Gefühl. Nämlich, dass die Zeit stehen blieb.
»Wenn du die Chance hättest, noch einmal eine Stunde mit Onkel Gerald zusammen zu sein, auch wenn du wüsstest, du müsstest dafür den Schmerz, ihn zu verlieren, noch einmal durchleben – würdest du es tun?«
»Auf jeden Fall«, antwortete sie. »Ich würde alles dafür geben, auch nur eine Minute mit ihm zu sein. Ich würde seine Hand nehmen, ihm in die Augen schauen und ihm sagen, dass ich ihn liebe.« Beim letzten Wort versagte ihr die Stimme. Ich spürte, wie sich auch bei mir die Tränen sammelten, und fing heftig an zu blinzeln, um sie zurückzuhalten.
»Danke, Tante Marjorie.« Ich räusperte mich. »Du bist die beste Großtante, die ich habe.«
»Aber ich bitte dich, mein Liebes. Wann immer du mich brauchst, ruf einfach an. Und du bist auch die beste Großnichte, die ich habe.«
Sie verabschiedete sich von mir und ich legte auf. Mein Kopf war voll und mein Herz schwer.
Am nächsten Tag wollte die Zeit einfach nicht vergehen. Ich wünschte mir nur, dass es endlich halb drei werden würde. Aus irgendeinem seltsamen Grund hatte ich beschlossen, dass halb drei die ideale Zeit sein würde, zum Friedhof zu gehen, und ich zählte die Sekunden.
Um zwei schließlich zog ich mir ein rot-weiß gemustertes Sommerkleid an und beschäftigte mich dann übertrieben lang mit meiner Frisur. Exakt um 14:32 Uhr ging ich aus dem Haus und versuchte, mir einzuschärfen, nicht den ganzen Weg zu rennen.
Doch als das Friedhofstor in Sicht kam, schlug mein Herz schon wieder Purzelbäume und ich wurde immer schneller. Schließlich flog ich fast den Pfad hinauf, bis ich endlich vor Caspians Mausoleum stand.
Ich zupfte noch einmal nervös an meinem Kleid und öffnete die Tür. Dann fiel mir ein, was ich vergessen hatte. Zögernd blieb ich stehen, um einen Blick hinter mich zu werfen. Es war niemand zu sehen, also schlüpfte ich hinein.
Ich bemerkte sofort, dass er mehr Kerzen angezündet hatte. Der Raum war
Weitere Kostenlose Bücher