The Haunted
hinten.
Aubra und ich sahen uns an. Wir standen da wie zwei verschreckte Gazellen inmitten eines Löwenrudels, darauf wartend, wer den ersten Schritt machen würde. Aubra musterte mich von oben bis unten. »Du kommst mir irgendwie bekannt vor. Abbey heißt du?«
Da hatten wir’s … »Ja, wir gehen in dieselbe Schule.«
»Ach so.« Sie warf ihr Haar zurück. Es war klar, dass sie jetzt die Löwin war und ich die Gazelle. »Und du bist die Nichte vom Chef? Ich hoffe, das bringt dich nicht auf die dumme Idee, dass du hier eine Sonderbehandlung bekommst. Denn das wirst du nicht.«
Na klar. Weil sie mit Sicherheit auch niemals ihre Stellung im Cheerleaderteam oder ihren kurzen Rock ausgenutzt hat, um eine Sonderbehandlung zu fordern. »Ich will nicht …«
»Egal. Am besten, du stehst mir nicht im Weg und tust ansonsten, was ich dir sage. Comprende?«
»Ja, klar. Okay«, seufzte ich. Die Glöckchen an der Tür bimmelten und ein Mann und ein kleiner Junge kamen herein.
Aubra warf mir einen gehässigen Blick zu und murmelte noch schnell: »Nettes Shirt«, dann trat sie an die Theke, um die Kunden zu begrüßen. Ich sah an meinem viel zu großen Shirt herunter und krempelte die Ärmel hoch. Wenn dieser Tag nicht von allein schnell rumging, würde ich dafür sorgen müssen, dass er es tat.
Ich schlüpfte hinter die Theke und wartete, während Aubra lächelnd mit dem Mann plauderte. Er neigte ständig den Kopf zur Seite und gab mit seinem tollen Auto an – wahrscheinlich ein knallroter Sportwagen, der Inbegriff von Midlife-Crisis. Währenddessen wischte sein Sohn mit schmutzigen Fingern über das Plastikfenster, unter dem die Eisbehälter standen.
Schließlich warf Aubra mir einen Blick zu und sagte, ich solle einen Eisportionierer holen.
Ich nahm einen und versuchte, die Wassertropfen abzuschütteln, ohne sie mir ins Gesicht zu spritzen. Dann stellte ich mich neben die Kühlvitrine.
»Welche Sorte möchtest du, Billy?«, fragte der Mann.
Billy presste sein schmutziges kleines Gesicht an die Scheibe, dann sagte er schließlich: »Schokolade.«
Aubra funkelte mich feindselig an. »Du hast es doch gehört, oder? Gibst du ihm ein Schokoladeneis?«
Schnell beugte ich mich über den Behälter und versuchte, mich mit dem Portionierer durch das steinhart gefrorene Eis zu arbeiten. Ich versuchte, den Portionierer in einem etwas steileren Winkel zu halten, doch auch damit kam ich nicht weiter. Schließlich hackte ich mit dem Ding auf den Eisblock ein und endlich lösten sich ein paar kleine Flocken. Ich sammelte sie auf- es ergab eine ziemlich armselige kleine Kugel.
»Ich will Vanille«, schrie Billy plötzlich.
Ich hielt inne und sah Aubra an. »Vanille und Schokolade? Zwei Kugeln?«
Doch der Vater schüttelte bereits den Kopf. »Ich hab dir doch gesagt, Billy: eine Kugel. Willst du Vanille statt Schokolade?«
Billy stampfte mit dem Fuß auf und schüttelte ebenfalls den Kopf. Offenbar wollte er beides. Sein Vater kniete sich vor ihn hin und brauchte eine Ewigkeit, um Billy zu beruhigen. Mein Rücken brachte mich fast um, weil ich die ganze Zeit vornübergebeugt dastand. Die Schokoladenflocken, die ich abgehackt hatte, begannen bereits zu schmelzen.
»Wir nehmen Vanille«, meinte der Mann schließlich an Aubra gewandt.
Was sollte ich nun mit dem Eis tun, das ich bereits im Portionierer hatte? Ich versuchte, es zurück in den Behälter zu bekommen, doch der Portionierer wollte das Eis nicht mehr freigeben. Schließlich seufzte Aubra genervt und nahm ihn mir aus der Hand. Sie warf ihn in den Wasserbehälter zurück und sagte mir, ich solle einen neuen holen.
Mit einem frischen Werkzeug gerüstet beugte ich mich zum Vanilleeis vor.
»Pass auf!«, schrie Aubra. »Deine Ärmel kommen ans Eis.«
Ich sah, dass ein Ärmel tatsächlich durch Orangensorbet und durch Mint-Chocolate-Chip gestreift war. Beeindruckend.
Mit hochrotem Kopf zog ich mich zurück. Aubra nahm mir den Portionierer ab und kratzte eine perfekte Kugel Vanilleeis zusammen. Dann holte sie einen kleinen Becher aus einem Stapel, setzte die Kugel hinein und reichte ihn dem Jungen. »Tut mir leid«, meinte sie zum Vater. »Sie ist neu hier.«
Zwischen den beiden fand das obligatorische Augenverdrehen und ein mitleidiger Blickwechsel statt, dann trat sie an die Kasse und nahm das Geld in Empfang.
Ich ging in die Toilette, um mich zu säubern. Sobald ich in Sicherheit war, sagte ich meinem Spiegelbild, dass das Ganze ja nur ein paar Wochen dauern
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