The Hollow
nicht anschneiden sollen.« Er verstummte und ich hatte den Eindruck, dass er wütend war.
Wie zum Teufel war es so weit gekommen? Ich dachte nicht nach … die Worte strömten einfach aus mir heraus. »Oh nein«, sagte ich ganz ruhig und kochte innerlich vor Wut. »Wir sollten darüber sprechen. Wir sollten unbedingt darüber sprechen. Ich bin ein großes Mädchen. Ich kann damit umgehen. Also sag mir, was ich deiner Meinung nach tun soll. Los, sag’s mir«, stachelte ich ihn an.
Kopfschüttelnd legte er den Block und den Kohlestift auf den Boden. Dann hob er beide Hände und massierte seine Schläfen. »Ich will das nicht, Abbey. Ich will nicht mit dir streiten. Sag mir, was ich tun kann, um das Thema fallen zu lassen, und ich tu’s. Sag mir, wie ich es wiedergutmachen kann.«
Ich marschierte auf und ab; ich dachte, ich würde ein Loch in die Erde scharren. Ich wollte das Ganze eigentlich auch nicht, aber irgendetwas war mit mir nicht in Ordnung. Irgendein perverser Teil meines Verstandes genoss es, gequält zu werden. Ich konnte nicht mehr zurück. »Sag mir einfach, was du sagen wolltest. Sag’s mir einfach und dann ist es gut.«
Wieder schüttelte er den Kopf und seufzte tief auf. Er blickte mir direkt in die Augen und richtete sich auf, ohne wegzusehen. Wir standen uns gegenüber und sahen einander an. Unsere Wut war groß und tödlich. Von einer Art, die es zwischen uns nicht geben sollte.
»Okay, du hast gewonnen«, sagte er schlicht. »Du gewinnst immer, Abbey. Ich wollte dir nicht sagen, was du tun sollst, weil ich finde, du solltest die ganze Geschichte vergessen. Sie in Ruhe lassen. Du solltest Kristen erlauben, ihre Geheimnisse zu bewahren. Jeder hat Geheimnisse, Abbey, sogar du, und manche brauchen mehr Schutz als andere. Vielleicht gehört das hier dazu. Vielleicht wirst du nie eine Antwort auf deine Fragen bekommen, aber ich finde, du solltest es auf sich beruhen lassen. Bist du jetzt zufrieden?« Er ließ die Schultern sinken, drehte sich um und schaute auf den Fluss.
Ich hatte das Gefühl, als hätte mir jemand einen Schlag gegen die Brust versetzt.
»Auf sich beruhen lassen? Du findest, ich sollte es auf sich beruhen lassen? Das kann ich nicht, Caspian. Sie war meine beste Freundin und ich habe ein Recht darauf, es zu erfahren. Ich kann es nicht einfach auf sich beruhen lassen und du hast kein Recht, das von mir zu verlangen.«
Mein Atem ging schnell und ich wurde immer wütender. Trotzdem, in dem Moment, in dem ich diese bitteren und wütenden Worte aussprach, wollte ich sie schon wieder zurücknehmen. Ihm sagen, dass es mir leidtat, und ihn um Verzeihung bitten. Ihm verständlich machen, dass ich in Wirklichkeit auf Kristen und auf mich wütend war. Nicht auf ihn.
Aber das sagte ich nicht und die hässlichen Worte hingen zwischen uns. Small Talk war noch nie meine Stärke gewesen … und Entschuldigungen auch nicht.
»Tut mir leid, Abbey, aber diese Entscheidung kannst du nicht treffen«, sagte er. »Du weißt nicht, ob dieser Typ für irgendeins dieser Dinge verantwortlich ist, und Kristen kann es dir nicht mehr sagen. Es ging um ihre Geheimnisse, die sie entweder verraten … oder für sich behalten konnte. Und sie hat ihre Wahl getroffen.«
Meine Hände zitterten und ich kämpfte gegen die Tränen an. Es waren keine traurigen Tränen, sondern wütende und frustrierte. Ich hasste die Vorstellung, nachzugeben und dazustehen wie ein plärrendes Baby. »Ich dachte wirklich, du würdest mich unterstützen, statt so …« Mir fehlten die Worte und ich wusste nicht, wie ich es ausdrücken sollte. »Na, eben so zu reagieren, wie du gerade reagiert hast. So total destruktiv.«
Ich fand es grässlich, mit so einem lahmen Schlusssatz aufzuhören, aber ich war viel zu verblendet, zu sehr außer mir, um wortgewandtere Formulierungen zu finden. Ich hob die Hände, um ihn von einer Antwort abzuhalten. »Weißt du, was?«, sagte ich erschöpft. »Lass es einfach. Gib mir keine Antwort. Behalt deine Meinung für dich. Lass es auf sich beruhen. Ich kann jetzt nicht weiter darüber reden. Ich muss gehen. Wir – wir sehen uns.«
Ich gab ihm keine Chance, etwas zu sagen, aber ich sah den traurigen Ausdruck in seinen Augen. Ich drehte mich um und vergrub meine Hände tief in den Taschen. Ein kleines Steinchen musste noch hängen geblieben sein, denn als ich die Fäuste in die Jeans steckte, fühlte ich, wie sich die scharfe Kante eines Kieselsteins in meine Handfläche bohrte. Seltsamerweise machte
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