The Hollow
weinte und weinte.
Ich weinte all die Tränen, die ich bei ihrer Beerdigung nicht hatte weinen können.
Ich weinte all die Tränen, die sich in den einsamen Nächten in mir angesammelt hatten.
Ich weinte um die Freundin, die ich verloren hatte, und um die Erinnerungen, die wir nun nicht mehr miteinander teilen konnten.
Und dann weinte ich um mich.
Ich zog die Knie an die Brust und vergoss all die Tränen, die sich in mir angestaut hatten. Jeder einzelne Schmerz in meinem Herzen vermischte sich zu einem Durcheinander aus Wut und Trauer und sickerte langsam in den Fluss, bis nichts mehr übrig war. Als meine Tränen allmählich versiegten, hatte selbst das Wetter Mitleid mit mir und wollte mich trösten. Der Wind legte sich und der Regen ließ nach.
Caspian hatte schweigend gewartet. Er stand nur ganz geduldig da, bis ich fertig war. Als er schließlich etwas sagte, schaute ich mit großen Augen zu ihm hoch.
»Wir müssen die Antwort auf die Frage finden, was Kristen in der Nacht, als sie starb, hier gemacht hat«, flüsterte er. »Komm, wir finden es heraus, Abbey. Wir finden es heraus.«
Kapitel zehn – Die Auswahl von Düften
»Es war gerade die nächtliche Geisterstunde …«
Sleepy Hollow von Washington Irving
Caspian brachte mich vom Fluss nach Hause; er bildete eine schweigende Barriere zwischen mir und der Straße. Und obwohl gar keine Autos vorbeifuhren, rührte mich seine Geste zutiefst.
Während wir so dahingingen, betrachtete ich mein nasses, ruiniertes Kleid. Auf der Vorderseite waren jede Menge Schlammspritzer und Grasflecken zu sehen. Hoffentlich sahen mein Gesicht und meine Haare nicht genauso schrecklich aus. Aber ich war so müde, dass es mir eigentlich egal war, wie ich aussah.
Na ja, vielleicht nicht ganz und gar egal …
Das Haus war vollkommen dunkel, als wir endlich ankamen. Ich war so durchgefroren und nass, dass ich nicht aufhören konnte zu zittern. Es war eisig hier draußen. Ich holte den Ersatzschlüssel hinter einem Ziegelstein an der Hintertür hervor, schloss sie schweigend auf und knipste ein paar Lampen an. Ich schnürte meine verdreckten Stiefel auf, zog sie aus und versuchte, den Dreck nicht überall zu verteilen. Caspian war im Schatten des Hauses stehen geblieben. Ich konnte ihn kaum sehen. Selbst sein helles Haar wurde von der Dunkelheit verschluckt.
»Komm ruhig rein, wenn du Lust hast«, rief ich. »Lass nur deine Schuhe an der Tür stehen.« Ich schaute auf die Uhr an der Wand und sah, dass es fast halb zwölf war. Mom und Dad würden noch mindestens eine Stunde lang wegbleiben.
»Was ist … was ist mit deinen Eltern?«, fragte er, als hätte er meine Gedanken gelesen.
»Sie sind beim Hollow-Ball. Sie bleiben immer bis ganz zum Schluss, wie es sich für brave Ratsmitglieder gehört. Und dann fahren sie noch Leute nach Hause oder helfen beim Aufräumen … und all das. Wahrscheinlich kommen sie gegen halb eins oder eins.«
Er trat aus der Dunkelheit hervor. »Möchtest du, dass ich reinkomme, Abbey?« Seine grünen Augen funkelten und er sah mich aufmerksam an.
»Ja«, flüsterte ich. Dann räusperte ich mich und versuchte es noch einmal. »Ja.«
Ich sah an meinem Kleid hinunter. »Ich muss das ausziehen und mir etwas Trockenes anziehen. Ich fühle mich wie ein Eiszapfen. Warum kommst du nicht mit nach oben in mein Zimmer? Dir ist doch sicher auch kalt.«
Er kam noch einen Schritt näher und stand plötzlich neben mir. »Mir ist überhaupt nicht kalt«, sagte er. »Es ist doch ganz warm hier.« Ich starrte ihn einen Moment lang an, bis mir klar wurde, dass ich mich unbedingt mit irgendetwas ablenken musste.
Ich machte einen Schritt zur Seite und griff um ihn herum nach den leeren Bonbonschüsseln, die auf der Veranda standen. Ich hatte Schmetterlinge im Bauch und ich versuchte, den Gedanken zu verscheuchen, dass wir … ganz allein im Haus waren …
Mir lief eine Gänsehaut über den Rücken. So viel zum Gedankenverscheuchen.
»Ich mach die nur schnell sauber«, murmelte ich.
Caspian schlüpfte aus seinen Schuhen und folgte mir in die Küche, wo ich mich unnötig lange damit aufhielt, die Schüsseln zu spülen. Als ich sie abgetrocknet und weggestellt hatte, gab es nichts mehr zu tun. Ich räusperte mich nervös. »Also … mein Zimmer ist oben … wir sollten … jetzt … vielleicht … hochgehen.«
Ach, wie war ich doch erbärmlich.
Er schwieg und kam langsam hinter mir her, als ich zur Treppe ging. Die Uhr schlug halb zwölf, als wir den
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