The Homelanders, Band 1: The Homelanders - Stunde Null (Bd. 1) (German Edition)
Polizei hielt mich für einen Mörder und einen Lügner. Wie sollte ich jemals jemanden davon überzeugen, dass sein Leben in Gefahr war?
Stunde um Stunde saß ich da und dachte über all das nach, umklammerte meine Knie und zitterte vor Kälte, je weiter der Nachmittag vorrückte und die Herbstluft schärfer durch die zerbrochenen Fenster pfiff. Nach einer Weile wurde das Heulen der Polizeisirenen schwächer, dann hörte es ganz auf. Auch der Hubschrauber drehte ab, das hackende Geräusch der Rotoren wurde leiser, bis ich es nicht mehr hören konnte. Als die Sonne unterging und das Licht, das durch die Fenster fiel, schwächer wurde, war alles um mich herum still.
Die Dunkelheit kam. Ich schlich zu einem der zerbrochenen Fenster, steckte vorsichtig den Kopf durch den Rahmen und schaute die drei Stockwerke hinunter auf die Straße. Dort schien niemand zu sein, bis auf den einen oder anderen Obdachlosen, der durch die Dunkelheit schlurfte.
Jetzt erst merkte ich, dass ich Hunger hatte, richtigen Hunger. Aber wie sollte ich an etwas zu essen kommen? Ich hatte kein Geld, und die Vorstellung, welches stehlen zu müssen, war mir verhasst. Doch ich musste essen, damit ich weitermachen konnte.
Ich verließ das Lagerhaus, trat auf die Straße, hinaus in den kühlen Abend. Es fühlte sich an, als sei ich nackt, als ich wieder draußen war. In den Fernsehnachrichten wurde bestimmt über meine Flucht berichtet. Ich wusste, dass man über mich reden und mein Bild zeigen würde.Vielleicht wurde sogar eine Belohnung für Informationen ausgesetzt, die zu meiner Festnahme führten. Ich stellte mir mein Gesicht auf einem großen Fahndungsfoto vor, darunter in Neonbuchstaben:
VERSTÄNDIGEN SIE SOFORT DIE POLIZEI, WENN SIE DIESEN MANN SEHEN.
Die Hände in den Taschen und die Schultern hochgezogen, marschierte ich frierend die Straße hinunter. Immer wieder schaute ich mich um, jedes Mal, wenn ein Auto vorbeifuhr, blieb ich stehen, weil ich fürchtete, es könnte ein Streifenwagen sein. Irgendwann sah ich tatsächlich einen, der nur wenige Meter vor mir über eine Kreuzung fuhr. Ich drückte mich gegen die Mauer eines Hauses, wo mich dunklere Schatten verbargen, bis er vorbei war.
Dann hatte ich eine Idee. Zu Hause – in meinem wirklichen Leben, als ich noch ein normaler Jugendlicher war – arbeitete die Kirche, der ich angehörte, mit einem Obdachlosenasyl zusammen. Einmal im Monat brachten Leute aus unserer Gemeinde Lebensmittel dorthin und kochten für Bedürftige. Manchmal war ich einer der Freiwilligen. Das Obdachlosenasyl war noch an eine weitere Kirche angeschlossen, und ich wusste, dass viele Gemeinden in sozial schwachen Vierteln Suppenküchen und Schlafstellen für Obdachlose anboten.
Also suchte ich nach einer Kirche. Immer, wenn ich an eine Straßenecke kam, blickte ich nach oben und hielt nach einem Kirchturm oder einem Kreuz Ausschau, das sich vor dem Nachthimmel abzeichnete. Jedes Mal, wenn ich eines sah, ging ich darauf zu, in der Hoffnung, eine Suppenküche oder eine Einrichtung für Obdachlose zu finden, wo sie etwas zu essen bekamen. Wo auch ich etwas zu essen bekommen würde.
Beim dritten Versuch hatte ich Glück. Mein Blick wanderte an einem Kirchturm hinunter, und ich sah auf dem Bürgersteig eine Schlange gebeugter Männer stehen. Sie warteten vor einem kleinen Haus direkt neben der Kirche – einem Obdachlosenasyl mit Cafeteria. Im Fenster hing ein Pappschild, auf dem stand, dass es um 19:00 Uhr Abendessen gab, solange der Vorrat reichte. Ich stellte mich zu den anderen in die Schlange, und als sich die Tür des Asyls öffnete, schoben wir uns hinein.
Ich war froh, drinnen zu sein, denn inzwischen setzte mir die Kälte ziemlich zu. Drinnen war es warm, und langsam drang die Wärme in meinen durchgefrorenen Körper. Ich folgte den anderen einen kleinen Gang hinunter, der in die Cafeteria führte – in einen großen, sauberen und hell erleuchteten Raum mit langen Tischen, auf denen Papiertischdecken lagen. Ich lächelte traurig, als ich den Raum sah, er erinnerte mich an die Mensa in der Schule. Ich hätte nie gedacht, dass ich diesen Ort mal vermissen würde. Jetzt tat ich es.
Mit einem Tablett in der Hand stand ich in der Schlange an der langen Theke. Ich war jünger als die meisten anderen hier, trotzdem sahen wir alle gleich aus: nach vorn gebeugt und unrasiert, mit abgetragenen Klamotten und dunklen Ringen der Erschöpfung unter den Augen. Die Leute hinter der Theke verteilten großzügige
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