The Hood
Schritt. Zwei Monate vor seiner Entlassung wurde sein Stiefbruder niedergestochen. Es geht ihm durch den Kopf. Er trägt Sonnenbrille und Lederjacke und streift verstohlen durch sein ehemaliges Revier, versucht, keinen alten Feinden über den Weg zu laufen.
»Yo, Pilgrim. Seit wann bist du draußen?«
Es ist Jay, ein alter Schulfreund. Jay ist derzeit der gefährlichste Typ in ganz Hackney. Die Youngers bei Jay werfen ihm finstere Blicke zu. Pilgrim kann kaum glauben, wie jung manche von denen sind. Sie sehen aus, als wären sie gerade mal sieben oder acht Jahre alt. Sie begrüßen ihn, weil er immer noch ein gefürchteter Typ ist. Wenn ein Younger früher zu weit ging, rief man seinen Boss an und sagte, sag deinem Younger Bescheid, andernfalls werde ich ihn ausschalten müssen. Heute ist es anders.
»Seit letzter Woche erst«, sagt Pilgrim.
»Respekt für diesen Mann, Leute«, sagte Jay grinsend. Er trägt schicke Klamotten und viel Bling-Bling. »Er ist ein echt harter Kerl. Einer der besten Gangster aus Hackney. Kommt frisch aus Bullingdon.«
Jay bekommt einen Anruf auf seinem Mobiltelefon und entfernt sich ein Stück, lässt Pilgrim mit den Youngers zurück.
»Yeah, Pilgrim«, sagt einer der jungen Typen. »Hab schon von deinem Ruf gehört.«
»Mit wem hängst du jetzt so ab?«
»Leute. Ich bin gerade erst rausgekommen. Schon möglich, dass ich nicht mehr auf die Straße zurückkehre.«
Die anderen lachen. »Wirst es zu sehr vermissen.«
»Ich werde euch nicht anlügen: Wenn ihr da draußen auf der Straße seid, ist es cool«, meint Pilgrim grinsend. Er entwickelt väterliche Gefühle für diese Kids. »All diese Filme, wenn ihr euch die anseht, dann seht ihr doch, was am Ende passiert, wenn ihr nicht aufhört, bevor es zu spät ist. Ihr könnt gut leben, wenn ihr krumme Dinger dreht, lasst euch von keinem was anderes erzählen. Wenn ihr es richtig macht. Aber man muss immer wissen, wann es Zeit ist zu gehen.«
Die Youngers scheinen nicht zuzuhören. Sie sind viel zu aufgedreht.
»Es ist geil da draußen auf der Straße«, sagt einer. »Wenn du Autos verleihst, lockst du die Mädchen raus. Man bekommt Ruhm, Geld und Respekt, yeah.«
Jay beendet sein Gespräch und kommt zurück. Er nimmt Pilgrim beiseite.
»Wie alt sind die Kleinen da?«, flüstert Pilgrim.
»Ach, das sind Tinies. Acht oder zehn. Man sieht das heute oft. Die werden eigentlich nie von der Polizei angehalten. Der Anführer ihrer Gang ist ungefähr vierzehn.«
»Acht Jahre alt?«
»Gibt sogar noch Jüngere. Richtige Babys sind schon dabei. Wenn du fünfzehn bist, haben sie dich schon so oft niedergestochen, dass du schon so was wie ein Veteran bist.«
Pilgrim kann nicht glauben, was er da hört.
»Wir hatten damals einen Codex«, sagt er. »Zieh niemals kleine Kinder mit rein. Greif niemals ein Familienmitglied an.«
»Hat sich manches verändert, während du weg warst«, meint Jay. »Die Kids heute, die gehen zum Haus deiner Mum. Überfallen deine Mum auf offener Straße. Laufen deiner Schwester in Schuluniform auf der Straße hinterher und vergewaltigen sie dann einer nach dem anderen. Ich rede mit Kids, bei ihrer Mum wurde mit Schrotflinten auf die Haustür geballert und dann ist irgendwer sonst aus dem Haus erschossen worden.«
»Gibt es denn keinen General mehr, der die Youngers unter Kontrolle hat?«
»Heutzutage kannst du ab vierzehn General werden. Schieß drei Leuten ins Bein, und schon bist du der Boss. Jedes kleine Kind besitzt heute eine 9-mm-Baikal. Ein Older hat ihm gesagt, bewahr die Pistole für mich auf. Der Junge legt sie unter sein Kopfkissen, und dann wandert dieser Idiot in den Knast. Was soll der Junge tun? Er nimmt die Kanone in die Hand und kommt sich vor wie Superman. Diese Baikals und Tokarews kommen pünktlich zu Weihnachten massenweise aus Litauen ins Land.«
Er schnipst seine Zigarettenasche auf einen Zeitungsständer mit einer Schlagzeile über eine »kläffende Horde« von Gangmitgliedern. Jay kann nicht länger mit Pilgrim reden. Pilgrim gehört immer noch zu Love of Money, nicht zu Jays Gang. Aber manchmal respektieren sich Leute, die zusammen zur Schule gingen, gegenseitig. Pilgrim ist nicht mit seinen Freunden zusammen und Jay nicht mit seinen. Sie können auf der Straße stehen bleiben, herumflachsen und Witze reißen. Wenn aber Jay mit seinen Leuten unterwegs wäre und er Pilgrim allein erwischen würde, dann müsste er eben tun, was er tun muss. Genau so läuft das, und nicht
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