The Longest Way: 4646 Kilometer zu Fuß durch China (German Edition)
Hauseingang vorgelaufen. Ich tue ihnen den Gefallen, doch auch hier werde ich abgewiesen. Obwohl wir noch mehrere Male an unterschiedlichen Punkten im Dorf unser Anliegen vorbringen, sind die Reaktionen immer ähnlich: Ich werde angestaunt, abgewiesen und hinauskomplimentiert. Oder einfach nur weggewunken.
Nach dem sechsten oder siebten Haus habe ich genug. »Hört mal, das funktioniert so nicht!«, erkläre ich meinen stockschwingenden Mitstreitern. »Ich glaube, es ist am besten, wenn wir uns aufteilen: Ihr bleibt hier und passt auf das Dorf auf, und ich gehezur nächsten Stadt und gucke, ob man die Kamera dort reparieren kann! Okay?« Verständnisvolles Raunen.
»Und wie komme ich zurück zur Landstraße?«
Was folgt, ist eine endlose Wegbeschreibung, in deren Verlauf sich die Vortragenden ständig gegenseitig unterbrechen, verbessern oder gleich komplett als Blödmänner bezeichnen. Lediglich das Wort Markt kommt zwischen den ganzen Schleichwegen, Abkürzungen und unbekannten Ortsnamen mit einiger Regelmäßigkeit vor.
Ich bedanke mich und beschließe, mich lieber auf mein GPS zu verlassen. Dann sind die kleinen Jungen weg, so plötzlich, wie sie gekommen waren, und ich stehe wieder allein in den Rillen meiner Traktorspur auf der Dorfstraße. Und da ist er wieder, dieser schwache Geruch nach glühenden Kohlen. Die heizen gerade die Häuser, in die sie mich nicht einlassen wollen, denke ich.
ES GIBT VIELE GUS
Als ich morgens das Hotel verlasse, kommt gerade ein Luftballonverkäufer am Tor vorbei. Erfreut folge ich ihm und seiner bunt glänzenden Wolke die Straße hinunter, und mit jedem Schritt scheint mir, als ob ich nicht nur die Polizeistation und den Puff, sondern auch meine Sorgen hinter mir zurücklasse. Es gibt Grund zum Optimismus: Ich habe herausgefunden, wie ich die Kamera reparieren lassen kann, außerdem muss ich nicht mehr ständig kacken, und sogar meine Füße scheinen mir heute weniger wehzutun.
Da fällt mir ein, dass ich ganz vergessen habe, Zhu Hui zurückzuschreiben. Ich krame das Handy aus der Tasche und fasse meine Situation in wenigen Worten zusammen: Alles gut, komme heute in Gucheng an!
Die Antwort leuchtet nur Minuten später auf dem Display: GUCHENG!!
Ich wundere mich ein bisschen über diese Nachricht.
Unterdessen ist aus der Stadtstraße eine Landstraße geworden, die Gebäude der Stadt sind eines nach dem anderen verschwunden und haben weitläufigen Feldern Platz gemacht. Die Felder wiederum sind einzelnen Bäumen gewichen, und aus der Landstraße ist schließlich ein kurviger Waldweg geworden. Ehe ich mich’s versehe, befinde ich mich in einem märchenhaften Palast ganz aus Birken: Tausendfach recken sie ihre Stämme zu einem goldenen Dach zusammen, der Boden ist ganz mit ihrem Laub bedeckt, und hier und da löst ein Flügelschlag einen Blätterregen aus, der wie ein goldener Wasserfall in Zeitlupe zu Boden schwebt. In der Ferne werden einige bunte Punkte langsam zu einer Gruppe von Kindern, die mit ihren Schultaschen auf einem Schleichweg durch den Wald laufen. Zum Glück habe ich noch die andere Kamera , denke ich und richte das Teleobjektiv aus.
Da lässt mich ein brummendes Geräusch den Kopf wenden: Auf dem Weg hinter mir nähert sich in einer Staubfahne eine schwarze Limousine. Mit ihrem Glänzen und den verdunkelten Scheiben wirkt sie hier merkwürdig fehl am Platz. Eine Brise spielt mit den Baumwipfeln und trägt ein schwaches Kinderlachen zu mir herüber, während das Fahrzeug langsam näher kommt. Ich gehe ein paar Schritte aus dem Weg, ziehe den Reißverschluss meiner Jacke etwas höher und richte das Teleobjektiv wieder in den Wald. Das Lachen der Kinder ist inzwischen deutlich zu hören: Ein Junge ist aus der Gruppe ausgebrochen, und die anderen haben jubelnd die Verfolgung aufgenommen. Mir ist, als ob das Brummen der Limousine tiefer würde. Und tatsächlich: Das Auto verliert an Fahrt, steuert auf meine Seite des Weges zu, rollt langsam aus und kommt mit knirschenden Reifen vor mir zum Stehen. Das Motorgeräusch verebbt, und für einen Moment schwebt nur das Kinderlachen durch den Birkenwald, während ich darauf warte, was als Nächstes geschieht.
Wie ein großer, schwarzer Käfer, denke ich, als das Auto seine Türen spreizt. Vier ernst aussehende Männer steigen aus und kommen auf mich zu.
»Guten Tag, wir sind vom Kulturministerium der Stadt Dingxi.« Der Wortführer mag um die vierzig sein, ist etwas untersetzt und trägt eine Brille, durch die er
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