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The Longest Way: 4646 Kilometer zu Fuß durch China (German Edition)

The Longest Way: 4646 Kilometer zu Fuß durch China (German Edition)

Titel: The Longest Way: 4646 Kilometer zu Fuß durch China (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Rehage
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abzuschätzen versucht, ob ich überhaupt eines von seinen Worten verstanden habe.
    »Guten Tag«, erwidere ich auf Chinesisch, und sofort wirkt die ganze Gruppe erleichtert.
    »Ah, Guten Tag, Guten Tag. Wir möchten wissen, wer Sie sind und was Sie hier tun!«
    Ich muss erst mal schlucken, denn so etwas ist mir während meiner ganzen Zeit in diesem Land noch nie passiert.
    »Ich bin Leike aus Deutschland«, sage ich so selbstverständlich wie nur möglich.
    »Chen, Kulturministerium der Stadt Dingxi«, kommt es zurück, und die vier blicken mich abwartend an, sodass ich das Bedürfnis habe, meine Daseinsberechtigung etwas wortreicher auszuführen. »Filmhochschule Beijing, Abschluss im Fach Kameraführung. Ich bin auf einer Fußreise durch die Provinz und mache dabei Fotos.« Zur Erläuterung zeige ich auf das Display meiner Kamera. »Landschaftsfotos!«
    Herr Chen legt den Kopf schräg, um das Bild mit den Birken und den Kindern besser sehen zu können, und nickt höflich, während die anderen untereinander Blicke austauschen, die ich nur schwer einschätzen kann.
    »Moment bitte«, ich hebe den Zeigefinger und krame aus meiner Bauchtasche den Dokumentenbeutel hervor. Nachdenklich wird mein Reisepass durchgeblättert, dann schlägt Herr Chen den Studentenausweis auf: Da ist es, das Passbild mit dem blauen Hintergrund, darunter mein chinesischer Name und der dicke rote Stempel der Filmhochschule. Seine Miene hellt sich auf: »Die Filmhochschule in Beijing?«
    Und mit einem Mal ist alles anders: Hände werden geschüttelt, Zigaretten angeboten und meine Chinesischkenntnisse über alleMaßen gepriesen. Es ist fast, als wären wir hier als Freunde zusammengekommen, um die Natur zu genießen und uns gegenseitig zu beglückwünschen. Während ich die landschaftlichen Vorzüge und die wirtschaftliche Entwicklung der Region Dingxi hervorhebe, können sich die Leute vom Kulturministerium vor Begeisterung über meine Wanderung kaum beruhigen. Von Beijing bis hierher – und alles zu Fuß? Das sei ja wie der Lange Marsch der Kommunisten!
    Zum Abschluss erhalte ich eine Visitenkarte, und Herr Chen legt mir die Hand auf die Schulter. »Wenn du irgendwie Hilfe brauchst, ruf einfach an!«
    Dann braust die schwarze Limousine, voll bepackt mit den freundlichen, rauchenden Männern vom Kulturministerium der Stadt Dingxi, wieder in die andere Richtung davon, und nach einer Weile kann ich nur noch eine dünne Staubfahne erkennen, die sich langsam auf dem Weg verteilt. Ich drehe mich um und spähe wieder in den Wald, doch auch die Kinder sind mittlerweile verschwunden.
    Als ich abends in Gucheng ankomme, bin ich müde und durchgefroren. Ich wünsche mir ein warmes Hotelzimmer und etwas zu essen, doch die Siedlung ist enttäuschend: Zwei Häuserzeilen drängen sich an die Straße und werben mit Reklametafeln für Autoreparaturen aller Art. Dazwischen gibt es zwei Gemischtwarenläden, ein winziges Feuertopfrestaurant und eine Hinterhofherberge. Dort bekomme ich von ein paar Typen, die mit Kartenspielen beschäftigt sind, lakonisch ein Zimmer zugewiesen, das keine Heizung hat. Ein anderes gebe es nicht, heißt es, und ich könne ja schließlich auch gehen, wenn es mir nicht gefalle.
    Ich bin gerade dabei, in meinem eisigen Zimmer mein Gepäck für die Nacht zu sortieren, als ich hinter mir eine wohlbekannte Stimme höre. »Na, kleiner Lei? Wie war dein Lauftag?«
    »Zhu Hui!!« Ich kann es kaum glauben. »Was machst du denn hier?«
    »Gucheng, mein Freund, Gucheng!« Er lacht und wedelt tadelnd mit seinem Handy. »Du hast es falsch geschrieben, hast du das nicht gemerkt?«
    Die chinesische Sprache kann tückisch sein: Sie verfügt über ein Repertoire von ungefähr einhundertfünfzigtausend Schriftzeichen, die sich auf nur einige Hundert Silben verteilen. Dies bedeutet, dass sich jeweils mehrere Hundert Zeichen eine Aussprache miteinander teilen. Damit nicht genug, gilt es auch noch die verschiedenen Tonhöhen zu berücksichtigen, sodass sich viele Silben, wenn sie schon nicht genau gleich sind, für fremde Ohren doch erstaunlich ähnlich anhören.
    In diesem Fall setzte sich der Name der Siedlung aus den Zeichen Gu für »fest« und Cheng für »Wall« zusammen. Ich jedoch hatte in meiner Sprachverwirrung das Gu mit einem anderen, ähnlich lautenden Zeichen vertauscht und aus dem »festen Wall« kurzerhand einen »alten Wall« gemacht.
    Zhu Hui jedenfalls ist begeistert: »Kennst du den Ort ›Alter Wall‹ aus der Geschichte der Drei

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