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The Longest Way: 4646 Kilometer zu Fuß durch China (German Edition)

The Longest Way: 4646 Kilometer zu Fuß durch China (German Edition)

Titel: The Longest Way: 4646 Kilometer zu Fuß durch China (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Rehage
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wir werden schneller. Fünfundzwanzig Kilometer, dreißig. Die Gurke klappert, als ob sie gleich auseinanderfallen würde, ich denke an die Kabutze und hoffe, dass sie noch da ist. Ich wage nicht, den Kopf zu wenden, um nach ihr zu sehen.
    In der Ferne kommt uns ein Lkw entgegen. Ein Bild taucht in meinem Kopf auf: ein Knäuel aus Armen, Beinen und Rädern, das die Böschung hinunterrast und auf dem Wüstenboden zerschellt.
    »Wenn ich JETZT rufe, springst du mit aller Kraft ab!«, brülle ich, und es kommt keine Antwort von Ruben, sondern eine Frage. »Sind wir schnell?«
    Ich gucke auf das GPS: fünfunddreißig Kilometer in der Stunde.
    »Nein!«, lüge ich. »Das ist nur der Wind!«
    Und während der Lkw einen weiten Bogen um uns macht und wir auf der anderen Seite der Senke langsam an Schwung verlieren, danke ich dem Schicksal dafür, dass ich meinem Vater nicht erklären muss, warum sein kleiner Sohn mit einem Stück Stoff vor den Augen durch die Gobi geflogen ist.
    Irgendwann kommen wir endlich zum Stehen. Meine Knie zittern, und der Schweiß steht mir auf der Stirn.
    »Was war das gerade?«, fragt Ruben. Wir setzen uns, an die Gurke gelehnt, an den Straßenrand, ich habe Mühe, ihm zu erklären, was das gerade war.
    »… das bedeutet also, dass du ungefähr zehn Kilometer nicht zu Fuß gegangen bist«, fasst er zusammen.
    »Ja«, sage ich, »das bedeutet es.«
    Er legt seine Hand auf meine Schulter.
    Und in das Gefühl der Dankbarkeit, dass uns nichts passiert ist, und das Gefühl der Enttäuschung, dass ich nicht den ganzen Weg zu Fuß gegangen bin, mischt sich noch etwas anderes. Ich brauche einen Moment, bis ich verstehe, was es ist: Erleichterung. Ich habe eine der Regeln des Laufens durchbrochen.
    Vielleicht hätte das schon viel früher passieren sollen.

IM PORSCHE
    Nach einer weiteren dampfenden Nacht im Zelt geht es Rubens Augen besser. Wir stehen auf, der Wind hat nachgelassen, wir überfahren beinahe eine kleine Schlange auf der Straße und lachen.
    Erst spät am Abend kommen wir in Dunhuang an. Die Stadt hat sich mit Lichtern und Neonreklamen geschmückt, aus allen Richtungen glitzert und glänzt sie, es ist überwältigend.
    Ich war schon einmal hier. Dunhuang war der Endpunkt meiner Zugreise in den Westen, und nach Xi’an und Lanzhou erschien mir der Ort wie eine Kamelweide. Doch diesmal ist es anders. Wir haben in der Wüste geschlafen und sind zwei Tage durch den Sandsturm gelaufen. Dunhuang ist für uns wie eine leuchtende Metropole.
    Als wir am nächsten Morgen im Hotelzimmer aufwachen, zieht Ruben die Vorhänge beiseite und erstarrt: Dort draußen, hinter den Dächern der Stadt, türmen sich gewaltige gelbe Berge auf. Es sind Dünen.
    »Wir sind wirklich in der Wüste«, sagt er.
    Wir schieben die Gurke durch die Stadt und fragen die Leute, ob sie sie kaufen möchten. Irgendwann gibt uns tatsächlich ein Mann zweihundert Yuan dafür, und wir haben eine Sorge weniger. Wir besuchen die Mogao-Grotten und den Mondsichelsee in den Dünen. Im Fernsehen kommen ununterbrochen Sendungen über die Vorbereitungen zu den Olympischen Spielen, trotzdem fühlt sich Beijing weit weg an.
    Mein Telefon klingelt. Es ist Louise. Sie fragt, wann wir kommen.
    Am 6. August um kurz vor drei Uhr nachmittags landet unser Flugzeug in Beijing. Es war drei Stunden in der Luft, in zwei Tagen ist die Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele. Der Flughafen ist voller Menschen. Wir bahnen uns einen Weg durch die Wartenden. Da sind Kameras, Schilder mit Sportlernamen und Herzen, erwartungsvoll aufgerissene Augen. Ein paar Leute fotografieren mich. Ich mache Posen, Ruben schüttelt lachend den Kopf.
    Beijing liegt unter einer Hitzeglocke. Die Luft ist so schwül, als ob die Stadt schwitzen würde, vielleicht wegen der Aufregung über die Spiele. Wir fahren zu einer Adresse in einem Apartmentblock. Louise macht die Tür auf. Sie lacht ein wenig über mein Aussehen, wir legen die Taschen und Rucksäcke auf dem Boden ab. Wir setzen uns auf das Sofa, und dann sind wir da.
    Es sind Tage im Taxi. Wir holen meinen neuen Pass ab und bringen ihn zu jemandem, der sagt, dass er mir gegen Geld trotz der verschärften Visabestimmungen mein Visum verlängern lassen kann. Wir besuchen Freunde und gehen in die Restaurants, die ich am meisten vermisst habe. Und am 8. 8. um acht Uhr abends landen wir in einem öffentlichen Park, der übersät ist mitchinesischen Flaggen. Während um mich herum die Leute begeistert auf eine riesige Leinwand

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