The Longest Way: 4646 Kilometer zu Fuß durch China (German Edition)
Sorge, auf dem Land keine Dosenprodukte zu finden, habe ich mir Mais und Bohnen mitgebracht. Ich lade die Kabutze voll, kaufe noch Reisbrei dazu, Kekse, Trockenfleisch und mehrere Paletten Wasser. Außerdem fülle ich den Kanister auf, damit ich mir abends die Füße waschen kann. Das unbenutzte Badmintonset hat Rubi mitgenommen, den Sonnenschirm haben wir irgendwo stehen lassen. Ich behalte die beiden Hocker, falls ich einmal Gäste haben sollte.
Nachdem ich gepackt habe, lege ich mich früh schlafen.
Ich werde von einer Frau geweckt, die durch das Hotel läuft und kontrolliert, ob alle Fenster geschlossen sind. »Sandsturm!«, ruft sie.
Jetzt höre ich es auch. Ich schiebe den Vorhang beiseite und blicke in einen braunen Wirbel. Bäume biegen sich im Sturm, Äste brechen, Sand schlägt gegen die Fensterscheibe.
Der Sturm hat sich an den Dünen vor der Stadt mästen können und ist zu einem schwarzen Ungetüm geworden. Ich stehe in meiner Unterhose am Fenster und versuche mir vorzustellen, wie ich mit der Kabutze dort draußen Schutz suche. Das ist also ein richtiger Sandsturm. Ich lasse mich zurück ins Bett fallen.
Juli ruft an. Ich erkläre ich, ich könne heute noch nicht losgehen, wegen des Sturms.
»Oh«, sagt sie.
»Ich weiß nicht, wann der Sturm aufhört«, sage ich.
»Sei vorsichtig«, mahnt sie.
Am nächsten Morgen ist der Himmel wieder klar. Ich verabschiede mich von den Hotelangestellten, ziehe die Kabutze aus ihrem Versteck und gehe los, durch eine Schicht aus feinem Sand. Leute in orangefarbenen Westen sind damit beschäftigt, die Zweige und Äste von den Straßen zu räumen. Ich wende mich nach Norden und komme an der Kreuzung vorbei, an der Rubi und ich vor einem Monat die Gurke verkauft haben. Einen Moment lang bleibe ich stehen und ertappe mich dabei, wie ich nach einem blauen Transportfahrrad ohne Bremsen Ausschau halte. Ruben fehlt mir. Juli ist bei ihren Eltern in Chengdu. Lehrer Xie ist weit vor mir, irgendwo in Xinjiang.
Ich schreibe ihm eine Nachricht, dass ich ihm nun endlich hinterherkomme. Dann verlasse ich die Oase auf einer langen Allee. Die Bäume fallen über ihr zusammen wie zu einem grünen Dach, der reife Duft des Spätsommers liegt in der Luft. Ich blicke die Straße hinunter, und der zweite Tag meiner Reise fällt mir ein: die schöne Allee nach der Marco-Polo-Brücke. Damals hatte ich mir gewünscht, dass alle Straßen auf meinem Weg so sein würden.
Die Oase hört auf, die Gobi beginnt. Nichts hat sich verändert. Ich setze einen Fuß vor den anderen, fühle die Griffe der Kabutze in meinen Händen. Ein leichter Wind geht, die Wüste ist ockerfarben und geduldig.
Ich sehe Kamele und Reste der Großen Mauer. Einmal kommt ein Lkw mit gewaltigem Dröhnen hinter mir zum Stehen. Der Fahrer steigt aus und blinzelt mich vorsichtig von der Seite an, dann hält er mir seine Hand hin.
Er hat mich schon dreimal auf der Strecke gesehen. Jedes Mal hat er gehupt und gewunken, und erst jetzt hat er sich getraut, anzuhalten und zu fragen, ob ich Chinesisch verstehe. Er drückt mir eine Hami-Melone in die Hand und lächelt. »Die ist für dich, mein Freund. Vielleicht sehen wir uns ja noch mal wieder!«
Dann wirft er seine donnernde Maschine an, winkt und fährt weiter.
Ich stehe in einer dicken blauen Wolke und huste, die Melone in der Hand. Wie oft habe ich mich auf dem Weg schon überLasterfahrer geärgert. Über den Lärm und den Gestank, über die rücksichtslose Fahrweise, über das unaufhörliche Hupen.
Es ist drückend heiß. Ich bin zwar in Dunhuang mit vierzig Liter Wasser losgelaufen, aber sie werden schnell weniger. Ich ziehe die Kabutze durch die Wüste. Wenn ich ein bisschen Hunger habe, esse ich eine Dose Mais, wenn ich Hunger habe, esse ich eine Dose Bohnen, und wenn ich großen Hunger habe, esse ich beides zusammen.
Der Tag ist immer am schönsten, wenn die Sonne sich senkt und die Welt golden färbt. Dann wird es langsam kühler, und die Wüste sieht sanft und einladend aus. Ich gehe, bis der Himmel sich rot entzündet, dann suche ich mir einen Ort, um mein Zelt aufzustellen. Nicht zu nah an der Straße, nicht zu weit von ihr entfernt. Am besten ist es, wenn der Boden dazu noch halbwegs eben ist.
Wenn ich das Zelt aufgestellt habe, ist die Sonne nur noch ein heller Streifen am Horizont, und der Rest des Himmels geht langsam von Tiefblau in Schwarz über. Sterne leuchten. Es sind so viele, dass ich das Gefühl habe, auf einer Kugel in einem großen Raum zu
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