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The Longest Way: 4646 Kilometer zu Fuß durch China (German Edition)

The Longest Way: 4646 Kilometer zu Fuß durch China (German Edition)

Titel: The Longest Way: 4646 Kilometer zu Fuß durch China (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Rehage
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der Geschmack des Teigs, des Ofens und des uighurischen Landes in meinem Mund explodiert.
    Der Tag ist so sanft wie das Innere des Nangs . Er ist warm und meine Füße laufen wie von selbst. Sie tragen mich die Landstraße hinunter, durch kleine uighurische Dörfer, in denen ich Moscheen sehe und kastenförmige Häuser, die nur aus Gitterwänden und einem Dach bestehen. Ein Junge, der Chinesisch kann, erklärt mir, dass darin die Weintrauben zu Rosinen gedörrt werden.
    Und noch etwas fällt mir auf, etwas, das mir die Uighuren noch sympathischer macht: Fast jedes ihrer Häuser hat einen überdachten Innenhof. Meist besteht das Dach aus Holzbalken, von denen Traubenreben herabhängen, und darunter, im süßesten Schatten der Welt, steht ein Bettgestell.
    Je weiter ich komme, desto kleiner werden die Dörfer, destoleiser die Geräusche. Irgendwann lasse ich das letzte Dorf hinter mir und ziehe die Kabutze über einen Feldweg.
    Dann sehe ich sie: die Flammenden Berge.
    Eigentlich sind sie keine richtigen Berge, sondern rote, kahle Hügel mit schroffen Linien und Falten, die sie tatsächlich ein bisschen wie Flammen aussehen lassen.
    Die Flammenden Berge sind so besonders, weil die meisten Chinesen eine romantische Vorstellung von ihnen haben. Sie kommen in der Reise nach Westen vor, der Geschichte von dem Mönch, der vor mehr als tausenddreihundert Jahren nach Indien ging, um dort buddhistische Sutren zu finden.
    Es geht dabei nicht um den historischen Xuan Zang, der wirklich hier vorbeikam, sondern um die Legende, zu der er später geworden ist. In dem Roman aus der Ming-Zeit, in dem er mit seinen Helfergeistern allerhand Abenteuer bestehen muss, sind die Flammenden Berge zu einem Ort geworden, dessen Hitze so gewaltig ist, dass er nicht durchquert werden kann. Deshalb muss sein Freund, der Affengeist, erst einen magischen Fächer stehlen, um sie damit zu kühlen.
    Ich betrete eine Schotterstraße. Sie führt auf halber Höhe an einer Schlucht entlang durch die Berge hindurch. Die Wände der Schlucht sind steil und kahl, und nur ganz tief unten sehe ich einen dünnen Fluss, aus dessen Ufer Grün hervorsprießt.
    Es sieht winzig und zart aus, wie Sporen in einem Reagenzglas, wie der Anfang allen Lebens.

KUNST
    Am Ende der Schlucht, an einem Hang über dem Fluss, liegt ein Dorf. Als ich ankomme, sehe ich eine Schranke und daneben ein Tickethäuschen.
    Eine junge Frau kommt heraus, sie hat eine Schirmmütze auf, ein Schlüsselband um den Hals hängen und wirkt ungeheuer dynamisch. Sie sagt: »Willkommen in der Schlucht von Tuyu.«
    Ich bekomme erklärt, dass sich hinter dem Dorf Höhlen mit alten buddhistischen Wandmalereien befinden. Man könne sie jedoch nicht besichtigen, weil sie stark beschädigt seien und zurzeit restauriert würden.
    Als ich mich enttäuscht abwenden will, hält sie mich zurück: Nicht nur die Höhlen, auch das Dorf sei einen Besuch wert! Ob ich schon einmal eine ursprüngliche uighurische Siedlung gesehen habe?
    Ich stehe vor dem Tickethäuschen und der Schranke und denke an die kleinen Dörfer auf meinem Weg. Waren sie nicht das, was man »ursprünglich« nennt?
    Der Besuch in dem Dorf kostet fünfzig Yuan. Die Fremdenführerin zeigt mir ein Haus mit einer großen Holzveranda, in dem ich über Nacht bleiben kann. Ein weiterer grüner Fünfzig-Yuan-Schein verlässt meine Hosentasche.
    Ich stelle mein Gepäck ab, dann spazieren wir durch das Dorf. Es ist winzig. Lehmhäuser, Steinhäuser, Innenhöfe. Die Fremdenführerin zeigt auf Kabel zwischen den Häusern. »Früher gab es hier keinen Strom«, sagt sie, »das Dorf war so gut wie von der Außenwelt abgeschnitten.«
    »Und wovon haben die Leute gelebt?«
    »Vom Ackerbau, von ihren Weintrauben und vom Tauschhandel mit den unmittelbaren Nachbardörfern.«
    Im Zentrum steht eine Moschee, die ein bisschen zu groß wirkt für einen derart bescheidenen Ort.
    »Das war das Erste, wofür die Dorfbewohner ihr Geld aus dem Tourismus ausgegeben haben«, sagt die Fremdenführerin und nickt bedeutungsvoll, »es sind sehr religiöse Menschen.«
    Sie selbst ist Hui-Chinesin. Das sei ein großer Vorteil, sagt sie und erklärt mir, sie stehe kulturell zwischen Han-Chinesen und Uighuren und verstehe sich mit beiden gut. Jakubs Geschimpfe über die zweigesichtigen Hui fällt mir ein. Auf meine Frage, ob sie den Ramadan begehe, antwortet sie, ihr Arbeitgeber sehe es nicht sehr gern, wenn sie tagsüber keine Nahrung zu sich nehme. »Das ist schlecht für die

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