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The Longest Way: 4646 Kilometer zu Fuß durch China (German Edition)

The Longest Way: 4646 Kilometer zu Fuß durch China (German Edition)

Titel: The Longest Way: 4646 Kilometer zu Fuß durch China (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Rehage
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aus wie ein buddhistischer Stupa. Esist mit Nischen übersät, in denen früher Statuen oder Malereien gewesen sein müssen, in einigen sind noch Spuren davon zu erkennen.
    Ein alter, bärtiger Uigure sitzt auf dem Boden und spielt auf einer Flöte. Er sieht müde aus, es ist sehr heiß, ich lausche der Melodie und blicke die leeren Nischen an.
    Eine Reisegruppe erscheint, es sind die ersten anderen Besucher, die ich sehe. Sie haben eine Fremdenführerin dabei. Ich stehe eine Weile unschlüssig herum, während sie einen Wortschwall über die Geschichte von Gaochang über ihre Zuhörer ergießt, dann frage ich sie, was mit den Artefakten in den Nischen passiert ist. War es die Kulturrevolution, oder waren es die europäischen Archäologen des frühen zwanzigsten Jahrhunderts?
    Sie schüttelt den Kopf. Es war größtenteils die örtliche Bevölkerung. Einige der Leute hielten sich als Muslime dazu berufen, die Bilder und Statuen zu zerstören, andere kamen in die Ruinenstadt, um sich Baumaterial zu holen oder ihre Sachen in den alten Häusern zu lagern.
    Mir kommt ein Gedanke. »Was ist mit den buddhistischen Höhlen in der Schlucht von Tuyu – sind auch die von der Bevölkerung zerstört worden?«
    Sie nickt.
    Als die Reisegruppe weg ist und das Flötenspiel verstummt, komme ich zu einem Souvenirstand. Er steht zwischen den Ruinen, ein langes Überdach aus Stoff, darunter Tische mit Tüchern, Anhängseln und Schmuckstücken.
    Eine Handvoll Verkäufer sitzt auf Stühlen und Hockern zwischen ihren Waren. Als sie mich bemerken, fangen sie an zu rufen und zu winken. Ich soll etwas kaufen.
    Ich sehe nur den Schatten unter ihrem Stoffdach.
    Es gibt nur sie und mich, die Ruinen, die Sonne und den Schatten.
    Ich haste an ihren verdutzten Gesichtern vorbei und stelle mich unter das Zeltdach. Dann atme ich erleichtert aus.
    Ein dicker Mann mit der Kappe der Hui-Chinesen begreiftzuerst. Er lacht mich an und schiebt mir einen Hocker zu.
    »Sei froh, dass du nicht im Sommer hier bist«, meint er, »dann ist die Hitze erst wirklich unerträglich!«
    »Oh«, sage ich beeindruckt und wehre die Versuche von zwei Frauen ab, mir doch noch ein paar bunte Tücher zu verkaufen. Ich habe mir angewöhnt, in Situationen wie dieser darauf zu verweisen, dass ich zu Fuß reise und deshalb nichts mitnehmen kann, selbst wenn ich wollte. Das ist besser, als sich auf ärgerliches Palaver mit den Leuten einzulassen.
    »Zu Fuß?« Sie gucken mich ungläubig an.
    Der Dicke bleibt gelassen. »Ein Mann muss eben manchmal etwas erleben«, sagt er, und es hört sich an wie die beste Erklärung für mein Vorhaben, die ich je gehört habe.
    Ich bleibe lange unter dem Sonnendach sitzen und unterhalte mich mit den Verkäufern. Sie sind Han, Hui und Uighuren, und allesamt sind sie enttäuscht von der Zentralregierung in Beijing.
    Es geht um die Olympischen Spiele.
    »Alle haben uns erzählt, dieses Jahr würde der Tourismus in unserem Land explodieren«, sagt der Dicke. »Und natürlich haben wir uns darauf vorbereitet und mehr Souvenirs herstellen lassen.«
    »Und dann kommt keiner!«, ruft seine Frau entrüstet.
    Ich denke daran, wie schwierig es war, als ich im August in Beijing mein Visum verlängern lassen wollte. Es stimmt: Die Ausländer kommen wahrscheinlich nicht mehr, weil China kaum noch Visa vergibt. Und die Leute aus dem Landesinneren fehlen, weil das Reisen zu umständlich geworden ist in Zeiten, in denen die Regierung sich verstärkt um Sicherheit sorgt.
    Wir sitzen unter dem Stoffdach, es gibt Tee aus Thermoskannen und Rosinen, und wir reden so lange, bis die Sonne tief steht und ihre Strahlen nicht mehr heiß sind, sondern nur noch sanft wärmen.
    Noch einmal taucht eine Reisegruppe auf. Es muss eine ganze Busladung sein, sie haben Schirmmützen auf, tragen blitzende Kameras vor den Bäuchen und blicken mit einer gewissen Entrücktheit in der Gegend herum.
    »Koreaner«, sagt der Dicke, und die anderen nicken.
    Die Koreaner gehen an uns vorbei zu dem Platz mit dem Stupa. Ich höre das Flötenspiel des alten Uighuren, es dauert ein paar Minuten, dann haben sie alles gesehen und kommen wieder zurück. Ihre Blicke sind abwesend, sie sehen uns nicht.
    Wir springen auf und rufen, winken und halten ihnen Tücher und Schmuckstücke entgegen. Ohne Wirkung.
    Zwei Mädchen haben sich von der Gruppe abgesondert und machen ein paar Schritte auf uns zu, doch sie werden von den anderen zurückgepfiffen. Wir rufen noch ein paarmal, dann ist die Reisegruppe

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