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The Longest Way: 4646 Kilometer zu Fuß durch China (German Edition)

The Longest Way: 4646 Kilometer zu Fuß durch China (German Edition)

Titel: The Longest Way: 4646 Kilometer zu Fuß durch China (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Rehage
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weg. Der Flötenspieler verstummt, es wird wieder still.
    »Die tun so, als würden wir hier gefälschte Sachen oder Müll verkaufen«, schimpft die Frau und dreht eines der Tücher in ihrer Hand, »dabei lassen wir alles in der Gegend herstellen und müssen auch noch Standmiete bezahlen.«
    »Blöde Koreaner«, sage ich und versuche nicht daran zu denken, wie oft ich schon Souvenirhändlern mit einer abfälligen Handbewegung gezeigt habe, dass ich mich von ihnen gestört fühle.
    An diesem Abend lande ich bei Burhan, einem der Uighuren vom Souvenirstand. Es gibt im Dorf bei der Ruinenstadt kein Gasthaus, aber er hat sich bereiterklärt, mich bei sich aufzunehmen. Der Flötenspieler kommt auch mit.
    Wir kommen zu einem großen Tor und betreten einen Innenhof, in dem ein Dach aus Traubenranken steht und ein Bettgestell darunter. Ein kleiner Junge läuft uns entgegen, es ist Burhans Sohn, er spricht besser Chinesisch als sein Vater.
    Wir betreten einen Raum, ziehen die Schuhe aus und setzen uns auf einen Teppich. Burhan holt einen niedrigen Tisch, sein Sohn bringt Tee, es sind dicke Kandisbrocken darin. Ich muss daran denken, wann ich das letzte Mal einen solchen Tee getrunken habe: in der Großen Moschee von Paris.
    Der Flötenspieler kann kaum Chinesisch, er lächelt und raucht, während Burhan seine Stirn in Falten legt und von seiner Misere erzählt.
    Das Geschäft ist eingebrochen. Letztes Jahr hatte er noch Mädchen, die in ihrer traditionellen uighurischen Tracht für die Touristen posierten und ihm viel Geld einbrachten. Jetzt sind kaum noch Touristen da, und die Mädchen sind weg. Er hat nur noch den Flötenspieler und den Stand, und beide werfen bei Weitem nicht genug ab.
    Zum Abendessen gibt es Brot in warmer Milch, sautiertes Gemüse und Huhn. Burhans Vater hat es eigenhändig geschächtet, als er gehört hat, dass ich zu Besuch bin.
    »Mein Vater ist der Ahun des Dorfes«, sagt Burhan, und es hört sich stolz an. Ahun, das muss so etwas wie der Imam sein.
    Ich bedanke mich umständlich, doch er winkt ab. »So sind wir Uighuren.«
    Sein Vater sei unzufrieden mit ihm, sagt er. Als Ahun ist er der respektierteste Mann im Dorf, und er sieht es nicht gern, wenn sein Sohn sein Geld mit unmoralischen Dingen verdient.
    »Unmoralisch?«, frage ich.
    Burhan senkt die Stimme. »Das mit den Kostümmädchen. Das ist doch keine anständige Arbeit. Oder wie würde das bei euch angesehen werden?«
    »Das wäre in Deutschland kein Problem«, sage ich.
    Er blickt mich einen Moment lang verdutzt an. »Hier ist es eines.«
    Das Essen ist ausgezeichnet. Das Huhn ist zart, das Brot in der Milch wärmt von innen. Der Flötenspieler und ich, wir essen fleißig und konzentriert, während Burhan missmutig mit den Stäbchen in seiner Schüssel herumpickt.
    »Ich wäre ins Landesinnere gegangen, nach Lanzhou vielleicht. Dort hat ein Cousin von mir ein Restaurant, bei dem hätte ich gutes Geld verdienen können.« Er seufzt. »Aber meine Mutter wollte nichts davon wissen. Zu gefährlich!«
    »Gefährlich?«
    »Ja, in den Städten im Inland sind so viele Menschen auf einem Haufen, und alle haben nur ihren eigenen Vorteil im Auge. Das ist etwas anderes als hier bei uns im Dorf.«
    »Und was willst du jetzt machen?«
    »Was soll ich machen? Mein Vater will, dass ich ein Leben als Bauer führe, so wie er.«
    Er blickt mich unglücklich an.
    Als die Zeit zum Schlafen gekommen ist, verabschiedet sich der Flötenspieler mit einer würdevollen Geste, und Burhan zeigt mir, wo ich die Lichtschalter und die Toilette finde.
    Dann breite ich meine Isomatte auf dem Teppich aus und lege mich darauf. Es ist hart. Am Anfang der Reise hätte ich darauf nicht gut geschlafen, aber mittlerweile bin ich es besser gewöhnt, so wie auch das Laufen weniger schmerzhaft geworden ist.
    Ich warte, bis alles still ist. Dann rufe ich Juli an.
    Sie fragt: »Bist du in einem Hotel?« Sie möchte sich per Webcam unterhalten.
    Nein, sage ich, ich bin bei einem Uighuren auf dem Dorf.
    »Dann lass uns später reden«, schlägt sie vor.

UMARMUNG
    Ich bin in Turpan. Die Stadt liegt tief unter dem Meeresspiegel und ist im Sommer der heißeste Ort Chinas.
    Ich habe Burhan Lebewohl gesagt und seinem Sohn durch die Haare gewuschelt, dann bin ich durch das uighurische Dorf gegangen, nach Norden. Nach einer Weile tauchten wieder die Flammenden Berge auf, und ich kam zu einer bunten Anlage, die der Reise nach Westen gewidmet war und außerdem ein gigantisches Thermometer

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