The Longest Way: 4646 Kilometer zu Fuß durch China (German Edition)
Englisch.
Es dauerte einen Moment, bis ich begriff. »Meister!«, sagte ich lachend. »Du hast die Sprache geändert, und jetzt weißt du nicht, wie du sie wieder auf Chinesisch zurückstellen sollst, stimmt’s?«
Er nickte lachend.
Einen Moment später hatte er sein chinesischsprachiges Handy wieder in der Hand. »Amituofo!« , murmelte er den Namen des Buddhas des unermesslichen Lichtglanzes.
SCHWÄRZE
Strahlend weißer Schaum kündigte die Zerstörungen an.
Er hatte sich auf einem kleinen Bach angesammelt, der unter einer Autobahnbrücke kurz nach der Stadtgrenze von Shijiazhuang entlanglief. Überall glitzerte es, und es sah aus, als ob der Schaum alles Lebendige zuerst abgetötet und dann gewaschen hatte. Die Szene wurde mit etwas Metallschrott vervollständigt, der unter einem grauen Himmel vor sich hin rostete, und es lag ein Geruch wie von verfaulenden Eiern in der Luft.
Ich blieb nur so lange, wie es dauerte, ein paar anklagende Fotos zu machen. Dann beeilte ich mich, die Stadt hinter mir zu lassen, denn am Horizont zeichneten sich bereits die ersten Silhouetten der Berge ab. Sie sahen zart und verheißungsvoll aus, wie entfernte Erinnerungen.
Meine Meinung über das Hochland hatte sich innerhalb nur eines halben Lauftages von Grund auf geändert: Konnten denn ein paar harmlose Bergstraßen wirklich schlimmer sein als Shijiazhuang, diese Krake von einer Stadt, die in meinem Rücken keuchend und röchelnd ihre Straßen wie Fangarme von sich schleuderte und das Land um sich herum zu verschlingen drohte?
Nein, ich freute mich auf die Berge: auf unberührte Landschaften mit geschmackvoll hineingetupften Dörflein und Klösterlein, auf einsame Eremiten mit langen Gewändern und noch längeren Bärten und auf den hell klingenden Gesang der Frauen,wenn sie ihre Wäsche auf den Steinen im Fluss wuschen. Das Laufen würde wahrscheinlich nicht einfach werden, aber dafür wäre die Luft frischer und gesünder als hier unten!
Was für ein idiotischer Gedanke!
Einen Tag später habe ich anstelle von malerischen Dörfern nur Betonklötze gesehen und bin an einem Gefängnis vorbeigekommen, von dem mir hinter vorgehaltener Hand erzählt wurde, dass die Häftlinge dort im Lehmabbau schuften müssen. Tempel oder Klöster gibt es hier oben nicht, dafür wurde die Landschaft tausendmal umgegraben und verpestet liegen gelassen. Mein Weg ist von Kohlegruben, Kohlelagern und Kohleverladeplätzen gesäumt, zwischen denen Laster hin und her donnern, um Kohle überallhin zu transportieren. Die ganze Welt ist bedeckt mit einer Schicht aus schwarzem Staub.
Einmal sehe ich einen Baum, der aus der Landschaft ragt wie ein Holzscheit aus einem Feuer, und ich kann mich des Gedankens nicht erwehren, dass es wirklich eine naive Vorstellung von ihm ist, hier oben Blätter tragen zu wollen. Ich für meinen Teil kann kaum noch atmen, und in meinem Mund bildet sich ständig ein trockener Film, den ich auch mit Wasser nicht völlig wegspülen kann.
Ab und an kommen mir Fahrradfahrer entgegen, die weiße Stoffmasken vor den Gesichtern tragen, um sich vor dem Staub zu schützen. Wenn wir einander in den dunklen Wolken aus Kohlenstaub erblicken, kann ich ihre überrascht aufgerissenen Augen sehen, und mir fällt auf, dass viele von ihnen einen schwarzen Fleck dort auf der Maske haben, wo Mund und Nase bedeckt sind. Das muss die Kohle sein, die zumindest auf diesem einen Weg nicht in ihre Lungen eingedrungen ist, denke ich und versuche unwillkürlich, so flach zu atmen wie damals, als ich noch klein war und Mama nervös im Auto ihre Zigaretten rauchte. »Die werden dich noch umbringen, wenn du nicht damit aufhörst!«, sagte ich manchmal zu ihr, doch ihre Antwort war nur ein kurzes Lachen ohne besondere Heiterkeit.
Als ich auf einer Anhöhe einen Aussichtspavillon erblicke, ist meine Freude groß, und ich schiebe mich schnaufend einen kleinen Pfad bis in ungefähr fünfzig Meter Höhe hinauf. Der Pavillon besteht aus mehreren Säulen, die mit Bänken verbunden sind und ein geschwungenes Dach stützen. Während unter mir der Verkehr dahindonnert, mache ich es mir an einer der Säulen bequem und registriere erleichtert, dass hier oben tatsächlich weniger Kohlenstaub liegt als auf der Straße und am Himmel sogar so etwas wie ein schwacher Blauton zu sein scheint. Ich mache einen Joghurtdrink auf, nehme ein paar Schlucke, atme ein und wieder aus, und fühle ich mich im nächsten Moment sehr zufrieden.
Das Schönste ist immer die
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