The Longest Way: 4646 Kilometer zu Fuß durch China (German Edition)
das Haus des Kong Xiangxi besuche, anstatt hier solch einen Radau zu machen, fragte eine Stimme auf der anderen Seite des Tores irgendwann genervt, die Hunde seien meinetwegen schon ganz aufgeregt!
Ich fühlte mich beschämt. Das Haus von WEM?
Es stellte sich heraus, dass Taigu der Geburtsort eines der bedeutendsten chinesischen Politiker der Zwanziger- und Dreißigerjahre war, der neben allem politischen und merkantilen Geschick auch einen Stammbaum vorweisen konnte, neben dem sich die Kaiser- und Königshäuser dieser Welt ausnehmen mussten wie Pilze am Fuß einer Eiche: Kong Xiangxi war der Ururururururururururururururururururururururururururururururur-ururururururururururururururururururururururururururur-urururururururururururururururenkel von Konfuzius – das sind dreiundsiebzig Urs.
Leider gab es in seinem ehemaligen Wohnhaus nicht mehr viel zu sehen, denn es wirkte auch mehr als dreißig Jahre nach der Kulturrevolution noch wie ein ungeliebtes Stiefkind des Kommunismus: leere Gänge und Innenhöfe überall, hier und da einMöbelstück oder eine Kalligrafie an der Wand; das also waren die Hinterlassenschaften eines der reichsten Männer des ganzen Landes. Ich strich mehr oder weniger unmotiviert auf der Suche nach einem geeigneten Fotomotiv umher, als ich hinter einer Ecke grölende Stimmen hörte: Drei Herren im besten Alter torkelten Arm in Arm um einen Haufen Ziegelsteine herum. Als sie mich erblickten, machten sie begeisterte Hackbewegungen mit den Händen und brüllten dabei so etwas Ähnliches wie »Ka-PAO!!!«.
Kapao?
»Chinesisches Gongfu!«, lallte einer der drei, der aussah, als ob er das Rentenalter schon längst erreicht hätte.
Moment mal! Das konnte doch nicht ihr Ernst sein!
Doch da wankte er auch schon auf die Ziegelsteine zu, die sein Kumpel für ihn aufgestapelt hatte, machte eine überraschend schnelle Bewegung mit der Hand, und Ka-PAO!!! flog der oberste Stein in zwei Richtungen auseinander.
»Ka-PAO!!!«, brüllten die drei, sprangen herum und klopften einander auf die Schultern.
Sie waren es dann auch, die mir den Tipp gaben, einen kleinen Umweg zum Familienanwesen der Qiaos zu machen. Das sei zwar etwas kleiner als das Haus der Changs, dafür jedoch ungleich bekannter, weil dort vor ein paar Jahren eine Fernsehserie gedreht worden war. Und richtig: Als ich am darauffolgenden Tag das Qiao-Anwesen besichtigte, kam ich mir vor wie mitten auf der Beijinger Shoppingmeile Xidan, solch gewaltige Schwärme von Touristen und Souvenirhändlern wuselten um mich herum.
Es gab sogar eine Reitstation, an der man sich auf den Originalkamelen aus der Fernsehserie fotografieren lassen konnte. Auf meine Frage nach den Namen der Tiere erfuhr ich, dass sie einfach durchnummeriert waren. Kamel Nummer drei und Kamel Nummer vier hatten also die Ehre, die Ersten ihrer Art zu sein, die ich auf meinem langen Marsch nach Westen zu Gesicht bekommen sollte. Und wie schön sie waren! Ihre Wimpern waren lang und geschwungen, ihre Augen unendlich sanft, und auf dem Kopf standen ihnen die Haare schopfartig hoch, sodass sie einbisschen aussahen wie Südfrüchte. Ananas Nummer vier schenkte mir einen zutraulichen Blick, als ich ihm die Nase streichelte, dann gab er einen donnernden Furz von sich, der Nummer drei erschreckt zusammenzucken ließ.
Der Rest des Weges nach Pingyao war kalt und flach. Seit Yuci waren die Berge in eine Ebene übergegangen, die ähnlich aussah wie das Tiefland von Hebei. In den Straßengräben und im Schatten der Bäume zeugten spröde Schneeverwehungen vom Kälteeinbruch der letzten Tage, und kleinere Flüsse und Gewässer begannen bereits, sich mit einer Eisschicht zu überziehen.
»Hast du Hunger?« Juli ist aufgewacht und streckt genüsslich die Arme von sich. »Komm, ich lade dich zum Essen ein!«
Wir gehen in eines der Restaurants, die sich mit Bezeichnungen wie »Old Pingyao« und englischsprachigen Menüs vor allem an Ausländer wenden. Die Stadt ist ein beliebtes Ziel für Rucksacktouristen.
»Good evening!«, sagt die Bedienung, als wir zur Tür hereinkommen. Auf jedem Tisch steht eine Kerze, und wir sind die einzigen Gäste. Ich entscheide mich für ein Sirloin-Steak mit Pommes, denn heute könnte ich mir nichts Besseres vorstellen.
Wir reden über den Weihnachtsmarkt in München, über Julis neues Zimmer und ihr Statistikstudium, und ich spieße mit Begeisterung Gruppen von wehrlosen Pommes auf meine Gabel und säbele Fleischstücke ab, die so groß sind, dass ich sie
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