The Longest Way: 4646 Kilometer zu Fuß durch China (German Edition)
ZEIGT SEINEN FETTEN ARSCH IM INTERNET?, steht da in empörten Großbuchstaben, und mir fällt ein, dass ich gestern tatsächlich noch ein Foto gemacht und es auf meiner Webseite mit den Worten präsentiert habe: »My butt is burning, and it’s flaming red.«
Vielleicht war das keine so gute Idee. Andererseits konnte ich ja schlecht vor irgendwelchen fremden Leuten auf der Straße die Hosen herunterlassen, um sie zu fragen, warum mein Hintern so rot ist.
Jemand hat die Überlegung angestellt, ob ich vielleicht gegen ein Waschmittel allergisch sein könnte, und ich finde, das klingt, als wäre es gut möglich. Während ich meinen Rucksack zusammenpacke, lege ich mir einen entsprechenden Plan zurecht: Bis zum Abend will ich in dem Touristenort Jingsheng ankommen. Dort suche ich mir ein schönes Hotel und wasche meine gesamte Kleidung noch einmal von Hand. Und morgen, am erstenTag des Jahres, mache ich Pause und warte darauf, dass meine Wäsche trocknet.
Auf dem Weg nach Jingsheng wird die Landschaft wieder bergig, und die Temperatur steigt um ein paar Grade an. Einmal bleibe ich vor einem Gebäude stehen, auf dem ein Nachbau des Eiffelturms thront. Er ist zwar nur ein paar Meter hoch, aber man muss trotzdem den Kopf nach hinten legen, um ihn betrachten zu können. Ein Schwarm Vögel fliegt um die Spitze herum und wirkt im Größenverhältnis wie ein Geschwader Kampfflugzeuge.
Als es schon fast dunkel ist, treffe ich auf zwei junge Männer, die im gelben Scheinwerferlicht eines Autos aufgeregt gestikulieren. Es geht anscheinend darum, wie sie ihren festgefahrenen Wagen wieder aus dem Straßengraben bekommen sollen. Ein Schritt, und ich stehe neben ihnen, ein Schlag, und meine behandschuhten Hände landen auf dem Kotflügel. Die beiden blicken mich entgeistert an.
»Ich glaube, der will uns helfen!«, stellt der eine schließlich fest, und der andere zieht nur ratlos die Schultern hoch.
Es wird eine anstrengende Schieberei, doch obwohl der Wagen tiefer festgefahren ist als gedacht, können wir ihn nach einer Weile wieder auf die Straße bringen. Ich blicke in die geröteten, freudestrahlenden Gesichter meiner Mitstreiter.
»Thank you«, sagen sie atemlos, und es hört sich an wie »ssan-kju«.
Ein paar Stunden später stehe ich in der angenehmen Wärme meines Hotelzimmers und rücke meiner Wäsche mit Wasser und Shampoo zu Leibe. Ich habe ein Handtuch um die Hüfte geschlungen, und um meine Füße herum hat sich eine große Pfütze aus schaumigem Wasser gebildet, die langsam in den Ausguss läuft. Während die Wäsche wohlig unter meinen Fingern schmatzt, muss ich lachen: Die beiden Typen mit dem Auto haben heute Abend bestimmt etwas zu erzählen!
Es ist bereits acht Minuten nach Mitternacht, als mir auffällt,dass ich diesen Silvesterabend ohne Wunderkerzen und ohne Feuerwerk verbracht habe, ohne Musik und ohne Glückwünsche, ohne Umarmungen und ohne »Dinner for One«. Stattdessen habe ich sieben Paar Socken, zwei Unterhosen, zwei Unterhemden, ein T-Shirt, eine Hose, eine lange Unterhose, ein langes Unterhemd und einen Fleecepulli gewaschen, ausgewrungen und zum Trocknen aufgehängt.
Auf dem Tisch steht eine angebrochene Flasche Sprite. Ich gieße mir einen Becher davon ein, suche den pinkfarbenen Partystrohhalm, den ich irgendwo gekauft habe, und gehe zum Fenster hinüber. Hinter meiner gebrochenen Spiegelung ist nur Dunkelheit zu sehen: Da draußen ruht ein kleines Dorf, dem dieser Tag vollkommen gleichgültig ist. Die Leute gehen heute früh schlafen und stehen morgen früh auf, und voller Vorfreude warten sie auf das Frühlingsfest in siebenunddreißig Tagen, wenn ihr Jahr des Schweins endet und das der Ratte beginnt.
Ich schalte den Fernseher ein, damit es nicht so still ist. Die Nachrichten will ich ebenso wenig sehen wie Spielshows, und so bleibe ich schließlich bei einer Serie namens »Mutter Gobi« hängen. Es geht um eine Frau, die sich in den Fünfzigerjahren mit ihren Kindern bis nach Xinjiang durchschlägt, um ihren Ehemann zu suchen, der mit der Armee dort gelandet ist. Als die Frau es nach einer aufregenden Reise endlich bis an ihr Ziel geschafft hat, muss sie erkennen, dass ihr Mann bereits eine neue Partnerin gefunden hat und sich von ihr scheiden lassen möchte. In einer rührenden Szene entschließt sie sich jedoch, trotzdem in seiner Nähe zu bleiben, für die Kleinen, denn alle Kinder brauchen ihre Eltern.
Bedrückt sauge ich an meinem Partystrohhalm.
Dies ist mein zweiter
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