The Longest Way: 4646 Kilometer zu Fuß durch China (German Edition)
Spezialitäten.
Das Abendessen fällt mir ein. Maomao und ein Bekannter hatten mich zum Abschied groß eingeladen und sich etwas ganz Besonderes ausgedacht: Eselpenis. Nicht, dass man ihn als solchen erkannt hätte. Er sah eher aus wie eine in Scheiben geschnittene Salami mit einem Loch, das nicht ganz in der Mitte war. Der Bekannte lachte gönnerhaft und behauptete, das Teil sei ungemein gut für die Potenz, zwinker-zwinker. Also tat ich, was man als Ausländer in solchen Situationen eben so macht: Ich aß den blöden Eselpimmel und hielt das ganze auf Video fest.
Oben in meinem Zimmer stehe ich eine Weile unschlüssig am Fenster und gucke den Lichtern der Stadt zu. Dann gehe ich zum Telefon und wähle die Nummer des Massagesalons.
Eine Männerstimme meldet sich und fragt, ob ich normalen oder besonderen Service wünsche.
»Woher?«, frage ich zurück.
»Aus dem Ausland«, sagt er.
»Aus dem Ausland?«
»Genau, wir haben hier nur Austauschstudentinnen. England, Russland, Tschechien.«
Ich bin baff: »Wie viel?«
»Tausend. Plus hundert für die Anfahrt.«
Tausend Yuan. Das ist teuer, aber unwillkürlich male ich mir aus, wie es wohl sein würde: Würden wir einander in die Arme fallen, die Hure und der Wanderer? Würden wir lachend auf dem Bett herumtollen und einander die Geschichten erzählen, die uns an diesem fernen Ort zusammengeführt haben?
»Die Russin«, höre ich mich sagen.
Eine halbe Stunde später klopft es an der Tür. Ich bin frisch geduscht und trage einen Bademantel des Hotels. Doch als ich die Tür öffne, blicke ich nicht in ein, sondern in zwei Gesichter: Da steht eine Blondine im Cocktailkleid, und ein Chinese im Anzug steht daneben.
»Ah«, mache ich.
»Ah«, macht der Chinese.
Und die Blondine rastet aus: Ihre Augen weiten sich, Adern treten hervor, und mit verzerrtem Mund und wild fuchtelnden Armen lässt sie einen ganzen Hagel von Beschimpfungen auf uns beide niederprasseln. Ich verstehe kein Wort, doch es hört sich schlimm an.
Mein Blick trifft den des Mannes. Er sieht verwirrt aus. Doch da ist die Blondine schon um ihre eigene Achse gewirbelt und zeternd in Richtung Fahrstuhl davongerauscht. Während er ihr hinterherläuft, fährt mir der Gedanke durch den Kopf, dass man die beiden eigentlich auch für ein zankendes Ehepaar halten könnte. Dann sind sie weg.
Es ist still. Langsam lasse ich die Zimmertür ins Schloss fallen, dann gehe ich hinüber zum Fenster. Auf dem Tisch liegt dasFlugticket nach Beijing. Es ist für den 7. März ausgestellt, bis dahin sind es noch drei Tage. So richtig verstehe ich nicht, was hier gerade passiert ist.
Das Telefon klingelt, es ist der Mann von eben: Das alles tue ihm furchtbar leid, sagt er, aber er habe ja nicht ahnen können, dass die Russin nicht mit Ausländern arbeiten wolle. Ob er jetzt die Tschechin für mich anrufen soll?
Ich überlege einen Moment, dann stimme ich zu. Eine halbe Stunde später klopft es wieder an der Tür. Ich mache auf, es passiert exakt das Gleiche wie vorher, und als ich die Tür wieder schließe, ist Xi’an die Stadt, in der ich nicht nur von einer, sondern von gleich zwei Nutten brüllend abgewiesen wurde.
Als ich einen Tag später meine Schuhe zuschnüre, ist es ein Gefühl der Befreiung.
Ich verlasse das Hotel und folge Xi’ans Ausfallstraßen. In einem Park komme ich an einem Steinmonument vorbei, das eine Karawane aus Menschen und Kamelen darstellt. Daneben steht ein Schild mit einem Diagramm der alten Seidenstraßen. Ich lege meinen Zeigefinger auf den Punkt bei Xi’an und fahre langsam bis zur nächsten großen Station auf meiner Route: die Industriestadt Lanzhou, fast tausend Kilometer von hier. Danach beginnt irgendwo die Gobi. Ich denke an meine Fuß- und Passprobleme und daran, wie kompliziert jetzt schon alles ist. Wie soll das erst später werden, wenn ich in der Wüste bin?
Doch das Laufen beruhigt, denn alles, was ich während der nächsten sechs Stunden machen muss, ist, einen Fuß vor den anderen zu setzen und den Gebäuden dabei zuzusehen, wie sie kleiner und weniger werden. Irgendwann bin ich wieder auf dem Land, und die Stadt hat auf die gleiche Weise von mir Abschied genommen, wie sie mich auch schon vor einer Woche begrüßt hat: mit einer gigantischen Autobahnbrücke.
IDIOT
Mein Aufenthalt in Beijing dauert vier Tage, und er fühlt sich gleichzeitig echt und unecht an, wie die Erinnerung an einen oft wiederholten Traum. Ich lande im Morgengrauen und fahre mit dem
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