The Longest Way: 4646 Kilometer zu Fuß durch China (German Edition)
Es bleibt nur das letzte Mittel: die peinliche Wahrheit. »Ich habe Fußpilz«, flüstere ich und blicke zu Boden, bevor ich rot werde.
»Ja, und?«, lacht er. »Das ist doch kein Problem!«
Wir nehmen in einem Warteraum Platz und trinken Tee. Die Massagemädchen tragen eine gelb-schwarze Uniform, die aussieht wie ein Jogginganzug, der Raum ist sehr geräumig und sehr hell. Es ist definitiv anders als in dem Massagesalon in meiner Beijinger Nachbarschaft, denke ich. Dort war das Licht immer rötlich gedämpft, und manchmal konnte man Kichern und Stöhnen hören.
»Wir machen hier richtige Massage, nichts von dem zwielichtigen Zeug«, sagt der Manager bedeutsam, und ich sage »Ah!« und nicke.
Dann ist die Reihe an mir: Ein Mädchen erscheint, deutet auf einen Türeingang und blickt fragend den Manager an.
»Füße«, sagt er, und als ich noch immer zögere, fängt er wieder an, mich herumzuschieben.
Das Mädchen spricht nicht viel. Sie lässt sich auch nicht anmerken, ob sie meine Wanderfüße erträglich findet. Zuerst wäscht sie sie in einer Schüssel mit heißem Wasser, dann rubbelt sie sie mit einem Lappen ab, und schließlich beginnt sie, sie durchzukneten. Das ist das Schlimmste. Ich winde mich auf meinem Sitz hin und her, wimmere leise und denke über die Frage nach, wie ein so zierliches Mädchen nur dermaßen stark sein kann. Für sie scheine ich aus Nudelteig zu bestehen. Als sie endlich mit mir fertig ist, blickt sie mich an und fragt, ob alle Ausländer so empfindlich seien wie ich.
Geschlagen humpele ich in mein Zimmer zurück.
Als ich am nächsten Morgen wieder unterwegs bin, bekomme ich eine Nachricht von Juli: Sie kommt über Pfingsten nicht. Eigentlich wollte sie mich besuchen, hat es sich aber anders überlegt. Ich laufe unter dem strahlend blauen Himmel entlang, sehe die Bäume am Wegesrand, die anfangen zu blühen, und frage mich: Wo werde ich Pfingsten wohl sein?
Aus dem Nichts taucht eine Kirche auf. Ich biege von der Straße ab und laufe darauf zu, und je näher ich komme, desto deutlicher kann ich sie erkennen: Sie ist klein, aber reich geschmückt, sie hat drei kreuzbewehrte Türme und ein bogenförmiges Eingangstor, und sie sieht sehr neu und sehr sauber aus. Tante Hu fällt mir ein, wie sie in ihrem Laden an der Kohlestraße steht, über sich das Jesusbild und neben sich das Foto ihres Sohnes in Beijing.
Eine ältere Dame kommt mir entgegen mit einem Kleinkind im Schlepptau. Lächelnd legt sie die Hände zusammen und sagt: »Jesus liebt dich!«, und unerwartet kommt mir in den Sinn, dass sich diese Worte anhören wie das »Amituofo« der Buddhisten. Die Dame ist sehr stolz auf ihre Kirche. Sie erklärt mir, dass die Brüder und Schwestern der Gemeinde alles selbst finanziert und gebaut haben. Die Regierung tue nichts für sie, aber auch nichts gegen sie. Sie öffnet das Tor für mich, und ich trete ein. Ein großer Raum, viel Blau und Grün, an der Wand ein gekreuzigter Jesus vor düsteren Wolken. Es sieht ein bisschen aus wie ein Death-Metal-Plattencover, denke ich, und sofort ärgere ich mich über meine Spottsucht. Ich bin allein, es ist still und kühl. Ich blicke den Death-Metal-Jesus an, bekreuzige mich und knie aufeiner der Holzbänke nieder. Ich habe mir angewöhnt, vor dem Essen zu beten, wenn ich allein bin. Meist bitte ich um etwas: Ich möchte geduldiger werden, oder ich hoffe, dass es einem bestimmten Menschen gerade gut geht. Manchmal weiß ich nicht, was ich beten soll, dann zähle ich innerlich bis zehn und bedanke mich für die Nudeln oder den Reis oder – wenn es ganz gut läuft – für die sautierte Aubergine.
Als ich im Schatten der Kirche liege und in meinem Buch lese, kommt der Knirps von vorhin angelaufen. Es ist ein kleiner Junge, vielleicht zwei Jahre alt. Er läuft mit breiten Schritten auf mich zu, wobei sein kleiner Körper bedenklich hin und her schwankt, hält eine Nuckelflasche mit beiden Händen an den Mund und blickt mich mit ernstem Interesse an. Bei mir angekommen, zeigt er mit dem Finger auf mich, nimmt mit der anderen Hand die Flasche aus dem Mund und sagt etwas. Es hört sich an wie »Ga, gaga, gaga, ga«.
Eine Unterhaltung entspinnt sich: Er sagt Ga, und ich antworte etwas, und dann sagt er wieder Ga. So geht das hin und her.
Als die Frau wiederkommt, bin ich überrascht und auch ein bisschen neidisch, weil ich erfahren muss, dass sie den Kleinen verstehen kann. Er heißt Doudou, und während ich mir ächzend mein Gepäck auf den
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