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The Longest Way: 4646 Kilometer zu Fuß durch China (German Edition)

The Longest Way: 4646 Kilometer zu Fuß durch China (German Edition)

Titel: The Longest Way: 4646 Kilometer zu Fuß durch China (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Rehage
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kommt eine junge Mutter mit einem hellen Kopftuch und einem Baby auf dem Arm. Das Baby hat eine Gartenhacke in der Hand und beäugt mich zurückhaltend. In einem kleinen Dorf, das Baishui heißt, »weißes Wasser«, betrete ich den Innenhof einer Moschee. Ein weiß bemützter Mann führt mich in ein muslimisches Gasthaus.
    Der Besitzer heißt Ma und ist sehr großzügig. Da er kein Zimmer für mich übrig hat, gibt er mir für die Nacht sein Büro. »Bei uns ist es viel sauberer als bei den Han-Chinesen!«, erklärt er mir stolz und lässt es sich nicht nehmen, den Kohleofen zu befeuern, damit ich eine heiße Dusche nehmen kann.
    Zu meiner Überraschung warnt er mich beim Abendessen eindringlich davor, nach Xinjiang zu gehen. Warum, frage ich.
    »Wegen der Uighuren!«
    »Aber sind das nicht eure Glaubensbrüder?«
    »Wir sind Hui.« Er setzt wieder sein stolzes Gesicht auf. »Wir sind klug und handelstüchtig, und wir kommen mit allen gut aus. Die Uighuren sind anders als wir. Das sind streitsüchtige Bauern, bei denen gibt es dauernd Ärger. Man kann es in ihren Augen sehen!«
    An diesem Abend denke ich über Mas Worte nach. Ich kennenur sehr wenige Uighuren aus meiner Zeit in Beijing. Einer von ihnen ist mein Mitschüler an der Filmakademie: Abu, ein schlaksiger Student, der immer freundlich lächelt. Die anderen sind diejenigen, denen man nur in der Gruppe begegnet, wenn sie singend überteuerte Lammspieße oder Rosinenkuchen verkaufen, um damit ahnungslose Touristen hereinzulegen. Ihr Ruf ist nicht besonders gut.
    Erst am nächsten Morgen fällt mir auf, dass Herr Ma in seinem Büro etwas stehen hat, das nur sehr schwer zu seinem Glauben passen will: Es ist ein Bild, das Caishen darstellt, den Gott des Reichtums, der mich mit seinem Bart immer ein bisschen an Guan Yu erinnert. Das Bild steht auf einem kleinen Tisch, daneben ein Behälter für Räucherstäbchen und zwei Kunstblumengestecke. Jemand hat einen Apfel und ein Mantou davor platziert. Alles sieht verdächtig nach einer Opfergabe aus.
    Ich spreche Herrn Ma nicht darauf an. Ich möchte ihn nicht in Verlegenheit bringen. Als er mich begrüßt, die weiße Kappe tadellos auf dem Hinterkopf, der Bart gestutzt, die Augen freudestrahlend, da ist er mir so sympathisch, dass ich lachen muss. »Salam aleikum!«, sage ich zum Abschied, und er antwortet: »Aleikum as-salam« und legt die Hände zusammen.

MIT STÜTZRÄDERN, ABER SEHR SCHNELL
    Pingliang ist ein besonderer Ort für mich, seit ich vor zwei Jahren zum ersten Mal hier war. Ich kam mit dem Zug aus Xi’an und tat zwei Tage lang nichts, außer ziellos in der Stadt herumzuspazieren. Dabei aß ich Unmengen von Melonen und erfreute mich an dem ockerfarbenen Staub an meinen Schuhen. Dies alles war viel besser, als in Beijing im Sprachkurs festzusitzen.
    Damals lernte ich den alten Bauern Yuan kennen.
    Er lud mich zum Tee ein, als ich an seinem Tor vorbeikam. Fast hätte ich abgelehnt, doch dann überlegte ich es mir anders. Ich wollte mir abgewöhnen, Schüchternheit hinter Höflichkeit zu verstecken. Die Enkelkinder von Bauer Yuan wuselten im Hof herum, und wir setzten uns auf eine Mauer und tranken Tee. Wir sprachen über Deutschland. Die Geschichte meines Heimatlandes sei ihm sehr wichtig, erklärte er mir, denn nach der Wende sei das Versagen des Sozialismus endgültig offenbar geworden. Ostdeutschland sei ebenso korrupt wie arm gewesen, und eigentlich sei es ein Wunder, dass es gelungen sei, es mit Westdeutschland wiederzuvereinen. Er blickte mich erschrocken an: Ob ich etwa Ostdeutscher sei? Er habe mich nicht kränken wollen.
    Ich verschluckte mich fast an meinem Tee.
    »Opa Yuan, woher weißt du so gut Bescheid?« Aus der Nähe hörte ich das leise Gackern von Hühnern. Die Innenstadt von Pingliang war weit entfernt.
    Er lächelte. »Ich lese viel. Diese Dinge interessieren mich.«
    Ich musste an Beijing denken und an die entsetzlichen Gespräche, die ich dort schon geführt hatte. In der Hauptstadt gab es Studenten, die in jeder Hand ein Handy hatten, mehrere Sprachen beherrschten und trotzdem die absurdesten Dinge behaupteten. Dinge in der Art wie: »Ende der Fünfziger sind in China nur deshalb so viele Menschen verhungert, weil die Bauern das Ernten vergaßen. Aus Freude über den Kommunismus.«
    Sie waren genauso ignorant wie diejenigen Europäer, die blind gegen China wüteten, als ob es dort außer Kampfkunst und Buddhismus nichts Gutes gäbe.
    Doch der alte Bauer Yuan war anders. Er saß im

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