The Longest Way: 4646 Kilometer zu Fuß durch China (German Edition)
Lieblingsfarbe – gelb. Lieblingstier – Katze. Als ich ihre Mutter frage, was sie sich am meisten für ihre Tochter wünscht, denkt sie kurz nach und sagt, dass es schön wäre, wenn aus Keke einmal eine selbstbewusste und unabhängige Frau werden würde.
LAUTER
Mein Fuß tut weh, daran haben auch sieben Tage Pause in Pingliang nichts ändern können. Es war definitiv ein Fehler, den Schuh reparieren zu lassen , denke ich, während ich eine gefaltete Socke hinter meine Ferse stopfe. Der Schuster hat sich zwar bemüht, das Innenfutter mit einem glatten Stück Leder auszubessern, aber es sieht trotzdem aus wie die Landschaft um mich herum: wellig und braun.
Es ist Vormittag. Ich humpele die Windungen der Landstraße entlang, und langsam schiebt sich das Kongtong-Gebirge zwischen mich und die Stadt Pingliang. Ich drehe mich um. Es ist jedes Mal aufs Neue schwierig, einen Ort zu verlassen, an dem ich so gut aufgenommen wurde.
»Warum läufst du überhaupt zu Fuß?«, hatte Keke mich beim Abschied gefragt, und an ihrem listigen Gesichtsausdruck konnteich genau erkennen, worauf sie eigentlich hinauswollte.
»Glaub mir, ich weiß, wie Fahrrad fahren geht, aber Laufen gefällt mir einfach besser.«
»Aber warum?«
»Weil es … langsamer ist.«
Mit dieser Aussage konnte sie nichts anfangen, aber etwas Besseres fiel mir nicht ein. Ich zerzauste ihr zum Abschied noch einmal die Frisur und versprach ihrer Mutter, ein Exemplar des Artikels zu schicken. Wenn er denn jemals erscheinen würde. Dann verließ ich Pingliang.
Die erstbeste Gelegenheit ist mir gut genug, um eine Pause zu machen. Auf einem kleinen Stück Wiese strecke ich die Füße von mir und schaue den Wolken zu, die wie Schiffe über mir dahingleiten. Es gibt etwas, das ich der kleinen Keke nicht erklärt habe, als sie mich nach meinem Laufen fragte: Wenn ich zu Fuß unterwegs bin, habe ich das Gefühl, nicht fehl am Platz zu sein. Es ist, als ob jeder Ort an dem Weg, den ich mir erlaufen habe, ein bisschen zu mir gehören würde, und ich fühle mich nicht ganz fremd. Das ist vielleicht das Schönste daran.
In dieser Nacht schlafe ich in einem Bett im Hinterraum einer Gaststätte. Es ist eine Kaschemme irgendwo an der Straße in den Bergen. Drei Lkw-Fahrer sitzen mit mir am Tisch. Sie sind dabei, zwanzig Tonnen Kinderwagen an die kasachische Grenze zu bringen und dort gegen eine Ladung Baumwolle einzutauschen. Über die Wüste Gobi haben sie nichts Gutes zu sagen: Riesig sei sie und sterbenslangweilig, und jedes Jahr würden Fahrer in ihr zu Tode kommen. Ich protestiere gegen so viel Schwarzmalerei, und sie lachen. Zwischen uns dampfen die Nudeln und das sautierte Hühnerfleisch. Bis zur Wüste ist es noch weit.
Als die drei mit ihrem Laster in der Nacht verschwunden sind, sage ich der Wirtsfamilie Gute Nacht und rolle mich in meinem Schlafsack auf dem Bett zusammen. Eigentlich ist es eher eine Pritsche, die vom Rest des Raumes durch einen Vorhang getrennt ist, aber es ist besser, als draußen schlafen zumüssen.
Doch ich habe nicht mit dem Fernseher gerechnet: Irgendjemand ruft nach der Fernbedienung, und mit einem Mal dröhnt ein Schwall übersteuerter Tanzmusik durch den Raum. Anerkennendes Raunen, es wird noch lauter gedreht. Ich stecke mir meine Kopfhörer in die Ohren, doch sie helfen nichts.
Mehrmals geht der Vorhang auf, und ein erstauntes Gesicht blickt auf mich herab.
Es dauert zwei Stunden, dann ist der letzte Gast gegangen, der Fernseher ausgeschaltet, und die Familie geht endlich schlafen. Ich höre sie auf der anderen Seite des Vorhangs rumoren. Das Baby und das ältere Kind werden ins Bett gebracht, dann legen sich auch die Eltern hin, und das Licht geht aus.
Die Stille ist wie ein fallendes Blatt.
Ich höre ein entrüstetes Glucksen. Es ist das Baby. Es fängt an zu brüllen und hört erst am frühen Morgen wieder auf.
Vielleicht hätte ich doch lieber in den Bergen campieren sollen, denke ich und setze mechanisch einen Schritt vor den anderen. Mein Kopf fühlt sich mindestens so schwer an wie der Rucksack auf meinem Rücken.
Damals in Frankreich verbrachte ich fast jede Nacht draußen, obwohl ich nicht einmal ein Zelt dabeihatte. Ich wachte auf Feldern auf, in Bushaltestellen und unter Balkons, und meist war ich vom Tau benetzt und hatte Besuch von Käfern und Schnecken. Und trotzdem war es gut. Es fühlte sich an, als würde ich mich wirklich gerade von unserer kleinen Aue bis in den Ozean treiben lassen.
Juli sagt, ich sollte
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