The Road of the Dead
wollten mich doch nicht erschießen, hey. Die sind vielleicht blöd, aber nicht dumm. Bohne hat sowieso nicht den Mumm dafür. Der hätte mich nicht mal getötet, wenn’s um sein eigenes Leben gegangen wär. Das hab ich in seinen Augen gesehen.«
»Das
reicht
dir?«, erwiderte Cole ungläubig. »Dass du es in seinen
Augen
gesehen hast?«
»Ja.«
»Scheiße, Ruben …«
|165| »Was ist?«
Er sah mich an und schüttelte den Kopf. Ich versuchte ihn anzulächeln, aber der Ausdruck in seinem Blick ließ kein Lächeln zu und ich spürte stattdessen das feuchte Brennen der Tränen, die mir in die Augen stiegen.
In dem Moment dort hatte ich gar nichts empfunden – nicht bewusst jedenfalls. Ich vermute, mein Körper war geschockt gewesen durch den plötzlichen Knall von Reds Flinte – sonst hätte ich mir ja nicht in die Hose gemacht –, aber in meinem Innern war nichts passiert. Gar nichts. Ich hatte überhaupt keine Zeit, irgendetwas zu denken oder zu fühlen. Keine Zeit für aufblitzende Lebensbilder oder letzte Reue, keine Zeit für Angst oder Gebete …
Überhaupt keine Zeit.
Einfach PENG und alles war zu Ende – die Luft, die Welt, die Stunde, der Tag. Dann fing ein paar Augenblicke später alles wieder an. Ich war Ruben Ford. Ich kniete am Boden. Mein Mund war trocken, meine Hose nass, mein Kopf blutig und ich war nicht tot. Ich sah den blauen Himmel, das knochenweiße Gras, die granitgrauen Tors in der Ferne. Ich sah den roten Irren. Ich hörte, wie sein Gewehrschuss im Moor widerhallte und sein Lachen die Luft verseuchte, während er fortging, den Berg hinauf, ohne sich auch nur noch mal umzudrehen.
Und dann war Jess da, kniete sich neben mich und fragte unter Tränen, ob alles okay sei, und ich sagte ihr, dass sie sich meinetwegen keine Sorgen machen müsse, es ginge mir gut, sie solle sich lieber um ihren Hund kümmern. Und dann lief sie hinüber zu Tripes leblosem Körper, nahm ihn hoch und weinte sich zu Tode.
Wir waren schweigend zurückgelaufen. Den Berg hinunter, |166| den Lychway hinab, den Pfad der Toten – zu dessen Trauer und Sehnsucht wir nun unsere eigene beisteuerten –, dann durch das kathedralenartige Licht des Waldes. Schließlich waren wir zwischen den Steinen auf die Straße hinausgetreten, an der Stelle, wo unser Weg begonnen hatte. Dort hatte Jess vorsichtig ihren Hund auf einen sonnenbeschienenen Findling gebettet und wir nahmen uns unter den sterbenden Schatten des Nachmittags in die Arme.
»Es tut mir so leid«, flüsterte sie mir ins Ohr. »Ich hätte meine große Klappe halten sollen. Ich –«
»Du musst nichts sagen«, erklärte ich ihr. »Es gibt nichts zu sagen.«
Daraufhin hatte sie mich geküsst, mit ihren Lippen die Schramme der Flinte auf meiner Stirn berührt, dann hatte sie sich umgedreht, Tripe wieder aufgehoben und war fortgegangen, die Straße hinunter mit Finn, der traurig hinter ihr herlief. Ich hatte ihr hinterhergeschaut, bis sie um eine Kurve verschwand, danach hatte ich mich abgewandt und war zurück zum Farmhaus gegangen.
Als ich den Weg hinablief, begann mich das Bild des toten Hundes zu verfolgen – sein trostloser kleiner Körper ausgestreckt auf dem Moor, die drei Beine schlaff, hängender Kiefer, offener Mund und die braunen Hundeaugen, die ins Leere starrten. In meinem Innern sah ich, wie sich ein Ohr bewegte, und für einen idiotischen Augenblick hatte ich an ein Wunder geglaubt –
er ist gar nicht richtig tot, er ist nur betäubt, bewusstlos, im Koma
–, aber natürlich war es nur der Wind gewesen, der über den Hang strich und ihm das Fell sträubte.
Ich wünschte mir, ich hätte irgendwas getan.
Das Einzige, was ich mir vorstellen konnte, war, meine Hand auf |167| seinen Körper zu legen und die kalte Ruhe des Todes zu spüren, und darüber fing ich an zu zittern und zu weinen.
Als ich wieder zum Farmhaus zurückkam, bezog sich der Himmel und es lag ein Hauch von Regen in der Luft. Haus und Hof wirkten verlassen. Auf dem Hof waren frische Reifenspuren zu sehen, aber kein Land Rover, also vermutete ich, dass Vince zurückgekommen und wieder weggefahren war. Die Haustür war nicht abgeschlossen. Ich ging hinein und schnell nach oben, um nicht mit Abbie zusammenzutreffen, und im Schlafzimmer hatte ich dann Cole gefunden, der auf mich wartete.
»Wo warst du?«, sagte er ungeduldig, sobald ich die Tür öffnete. Dann sah er, fast noch im selben Moment, die Wunde in meinem Gesicht und plötzlich wurde seine Stimme
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