The Stand. Das letze Gefecht
gewesen war. Er hatte nicht einmal genickt. Einfach zackbumm, und weg war er, out of the blue and into the black. Er stach sich die Nadel oberhalb des Ellbogens rein und drückte den Stöpsel. Der Stoff war fast sechsundneunzig Prozent rein. Er knallte in seine Blutbahn wie ein außer Kontrolle geratener Güterzug, und Richie fiel auf den Heroinbeutel und bestäubte sich das Hemd damit. Sechs Minuten später war er tot.
Kein großer Verlust.
39
Lloyd Henreid kniete auf dem Boden. Er summte und grinste. Hin und wieder vergaß er, was er gesummt hatte, dann verschwand das Grinsen aus seinem Gesicht, und er schluchzte ein kleines bißchen, aber dann vergaß er, daß er geweint hatte, und summte weiter. Das Lied, das er summte, hieß »Camptown Races«. Ab und zu summte und schluchzte er nicht, sondern flüsterte »Duu-dah, duu-dah«. Abgesehen vom Summen, dem Schluchzen, dem gelegentlichen Duu-dah und dem leisen Scharren des Pritschenbeins, mit dem sich Lloyd zu schaffen machte, herrschte völlige Stille im Zellentrakt. Er versuchte, Trasks Leiche umzudrehen, damit er ein Bein erreichen konnte. Bitte, Herr Ober, bringen Sie mir noch etwas Krautsalat und noch ein Bein.
Lloyd sah aus wie ein Mann, den man auf eine radikale Diät gesetzt hatte. Der Gefängnis-Overall hing an seinem Körper wie ein schlaffes Segel. Die letzte Mahlzeit, die im Zellentrakt serviert wurde, war das Frühstück vor acht Tagen gewesen. Lloyds Haut spannte straff über dem Gesicht, jeder Knochen war darunter zu erkennen. Seine Augen waren hell und glänzend. Er hatte die Lippen von den Zähnen zurückgezogen. Sein Kopf wirkte seltsam gescheckt, weil ihm die Haare allmählich büschelweise ausfielen. Er sah aus wie ein Wahnsinniger.
»Duu-dah, duu-dah«, flüsterte Lloyd und angelte mit dem Pritschenbein. Es war einmal, da hatte er nicht gewußt, warum er sich die Finger kaputtmachte, um das verdammte Ding abzuschrauben. Es war einmal, da hatte er zu wissen geglaubt, was Hunger heißt. Aber verglichen mit dem, was er jetzt erlebte, war der Hunger von damals lediglich ein etwas kräftigerer Appetit gewesen.
» Ride around all night... ride around all day... duu-dah...«
Das Pritschenbein hakte sich in Trasks Hosenaufschlag fest und rutschte wieder ab. Lloyd senkte den Kopf und schluchzte wie ein Kind. Hinter ihm, achtlos in die Ecke geschmissen, lag das Skelett der Ratte, die er vor fünf Tagen, am 2.9. Juni, in Trasks Zelle totgeschlagen hatte. Der lange rosa Schwanz der Ratte hing noch am Skelett. Lloyd hatte wiederholt versucht, auch den Schwanz zu essen, aber er war zu zäh. Fast alles Wasser in der Kloschüssel war verschwunden, obwohl er versucht hatte, es möglichst lange aufzubewahren. In der Zelle stank es nach Urin; er hatte in den Korridor gepinkelt, um seinen Wasservorrat nicht zu verderben. Den Darm hatte er - was einleuchtete, wenn man die radikal zurückgeschraubten Standards seiner Diät berücksichtigte - nicht entleeren müssen.
Er hatte die Lebensmittel, die er sich zurückgelegt hatte, zu schnell verschlungen. Das war ihm jetzt klar. Er hatte gedacht, daß jemand kommen würde. Er hatte nicht glauben können...
Er wollte Trask nicht essen. Die Vorstellung, Trask zu essen, war schrecklich. Gestern abend war es ihm gelungen, mit dem Pantoffel eine Kakerlake zu fangen, und er hatte sie lebendig gegessen; wie verrückt war sie in seinem Mund herumgewuselt, bis er sie halb durchgebissen hatte. Sie hatte nicht einmal schlecht geschmeckt, viel köstlicher als die Ratte. Nein, er wollte Trask nicht essen. Er wollte kein Kannibale sein. Es war wie mit der Ratte. Er wollte Trask in Reichweite haben... für alle Fälle. Nur für alle Fälle. Er hatte einmal gehört, daß ein Mensch es lange ohne Nahrung aushaken konnte, wenn er nur Wasser hatte.
( nicht viel Wasser aber darüber will ich jetzt nicht nachdenken nicht jetzt nein nicht jetzt )
Er wollte nicht sterben. Er wollte nicht verhungern. Er war zu sehr von Haß erfüllt.
Dieser Haß hatte sich in den letzten drei Tagen ganz allmählich in ihm aufgestaut und war mit dem Hunger gewachsen. Wenn sein Kaninchen, das schon so lange tot war, hätte denken können, hätte es ihn genauso gehaßt (er schlief jetzt viel, und dabei träumte er immer wieder von seinem Kaninchen mit aufgeblähtem Körper, mattem, verfilztem Fell, wimmelnden Maden in den Augen und, am schlimmsten, blutigen Pfoten: Wenn er aufwachte, betrachtete er seine eigenen Finger, von grausiger Faszination
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