The Stand. Das letze Gefecht
gemeint, ich werde dich nicht essen, alter Junge. Nur, wenn es sein muß.«
Er war sich nicht bewußt, daß ihm das Wasser im Mund zusammenlief.
Lloyd hörte jemanden im aschfahlen Widerschein der Dämmerung, zuerst war das Geräusch so weit entfernt und so seltsam - das Klirren von Metall auf Metall -, daß er glaubte, er würde es träumen. Wachen und Schlafen waren mittlerweile fast gleiche Zustände für ihn; er überschritt die Grenze zwischen ihnen, fast ohne es zu merken.
Aber dann kam die Stimme, und er fuhr kerzengerade von der Pritsche hoch, seine Augen glänzten riesig, weiß und unstet in dem abgemagerten Gesicht. Die Stimme drang von Gott weiß wie weit entfernt aus dem Verwaltungsflügel herunter und dann die Treppe herab durch die Flure, welche die Besuchszimmer mit dem zentralen Zellenblock verbanden, wo Lloyd war. Sie dröhnte heiter immer weiter durch die doppelt verriegelten Türen und drang schließlich an Lloyds Ohren:
»Hoooo-hoooo! Jemand da ?«
Und seltsam, Lloyds erster Gedanke war: Nicht antworten. Vielleicht geht er wieder.
» Jemand da? Zum ersten, zum zweiten?... Okay, ich muß weiter, bin dabei, mir den Staub von Phoenix von den Stiefeln zu schütteln... «
Das riß Lloyd aus seiner Lethargie. Er katapultierte sich von der Pritsche, packte das Pritschenbein und schlug wie wild gegen die Gitterstäbe; die Vibrationen pflanzten sich durch das Metall fort und brachten die Knochen seiner geballten Faust zum Erzittern.
» Nein! « schrie er. » Nein! Gehen Sie nicht weg! Bitte gehen Sie nicht weg! «
Die Stimme (inzwischen näher) kam von der Treppe zwischen der Verwaltung und diesem Zellentrakt: »Wir haben dich zum Fressen gern, so lieben wir dich... und, oh, da hört sich jemand so... hungrig an.« Dem folgte ein träges Lachen.
Lloyd ließ das Pritschenbein fallen und umklammerte die Gitterstäbe der Zellentür mit beiden Händen. Jetzt konnte er die Schritte hinten im Schatten hören, sie kamen gleichmäßig den Korridor herauf, der zum Zellentrakt führte. Lloyd hätte vor Erleichterung in Tränen ausbrechen mögen, schließlich war er gerettet... aber er empfand keine Freude, sondern Angst im Herzen, ein wachsendes Grauen, das den Wunsch in ihm weckte, er wäre lieber still geblieben. Still geblieben? Großer Gott! Was konnte schlimmer sein, als zu verhungern?
Beim Stichwort »verhungern« mußte er an Trask denken. Trask lag auf dem Rücken im aschfahlen Widerschein der Dämmerung; ein Bein ragte steif in Lloyds Zelle, und an der Wadenregion (der fleischigen Region) dieses Beins hatte eine sichtbare Veränderung stattgefunden. Dort waren Spuren von Zähnen zu sehen. Lloyd wußte, wer dort abgebissen hatte, aber er konnte sich nur noch ganz vage erinnern, Filet de Trask gegessen zu haben. Dennoch war er von übermächtigen Empfindungen des Ekels, der Schuld und des Grauens erfüllt. Er hastete zu den Gitterstäben und schob Trasks Bein wieder in dessen Zelle. Dann sah er über die Schulter, vergewisserte sich, daß der Besitzer der Stimme noch nicht zu sehen war, griff hinüber und zog, das Gesicht gegen die Gitterstäbe gepreßt, Trasks Hosenbein herunter, um zu verbergen, was er getan hatte.
Natürlich bestand kein Grund zur Eile, denn die massiven Türen am Ende des Zellentrakts waren zu, und da der Strom ausgefallen war, funktionierte der automatische Türöffner nicht. Sein Retter würde zurückgehen und den SCHLÜSSEL suchen müssen. Er würde...
Lloyd grunzte, als der Elektromotor, der die Tür öffnete, surrend zum Leben erwachte. Die Stille im Zellentrakt machte das Geräusch noch lauter, nachdem das altbekannte Klick-bumm ! ertönte, mit dem das Schloß aufging.
Dann kamen die Schritte stetig den Flur des HS-Trakts entlang. Nachdem er Trask aufgeräumt hatte, war Lloyd wieder zu seiner Zellentür gegangen; jetzt wich er unwillkürlich zwei Schritte zurück. Er richtete den Blick auf den Boden draußen und sah als erstes ein Paar staubige Cowboystiefel mit spitzen Zehen und abgelaufenen Absätzen, und sein erster Gedanke war: Poke hatte auch so ein Paar gehabt.
Die Stiefel blieben vor seiner Zelle stehen.
Langsam hob er den Blick, sah die verblichenen Jeans über den Stiefeln, den Ledergürtel mit der Messingschnalle (verschiedene astrologische Symbole in zwei konzentrischen Kreisen), die Jeansjacke mit einem Button auf jeder Brusttasche - ein Smiley-Gesicht auf der einen, ein totes Schwein und die Worte GESTERN SCHWEIN - HEUTE SCHINKEN auf der anderen.
In
Weitere Kostenlose Bücher