The Stand. Das letze Gefecht
Störende an diesem Bild war, daß aus dem Schornstein der Fabrik kein Rauch aufstieg und auf der Main Street, die zugleich der Highway war, dem sie folgten, so viele funkelnde Spielzeugautos in seltsamen Winkeln parkten.
Aber in der sonnigen Stille (das heißt, Stille, abgesehen von gelegentlichem Vogelzwitschern), hätte Larry vielleicht auch das Bonmot der verstorbenen Irma Fayette wiederholt, hätte er die Dame gekannt: kein großer Verlust.
Aber es war der 4. Juli, und er schätzte, daß er immer noch Amerikaner war.
Er räusperte sich, spie aus und summte ein Weilchen, bis er die Tonlage gefunden hatte. Er holte tief Luft, genoß den Morgenwind auf der nackten Brust und den Pobacken, und fing schmetternd an zu singen.
»Oh, say, can you see, by the dawn's early light, What so proudly we bailed at the twilight's last gleaming...«
Er sang alle Strophen, während er auf Bennington hinabsah, machte ein paar alberne, burleske Sprünge am Ende, denn mittlerweile würde Rita schon am Zelteingang stehen und ihn anlächeln. Er beendete die Darbietung mit einem zackigen Salut zu dem Haus hinüber, das er für das Gerichtsgebäude hielt, drehte sich um und dachte, die beste Art, ein weiteres Jahr der Unabhängigkeit der guten alten Vereinigten Staaten anzufangen, wäre ein guter alter AllAmerican Fick.
»Larry Underwood, junger Patriot, wünscht dir einen wunderschönen guten M...«
Aber das Zelt war noch geschlossen, und er verspürte ihretwegen wieder momentanen Zorn. Er unterdrückte ihn resolut. Schließlich konnte sie nicht immer auf seiner Wellenlänge sein. Das war alles. Wenn man das erst einmal erkannt und akzeptiert hatte, war man reif genug, eine erwachsene Beziehung aufzubauen. Nach den zermürbenden Erlebnissen im Tunnel hatte er das mit Rita versucht und fand, es war ihm ganz gut gelungen.
Man mußte sich in ihre Lage hineinversetzen, darum ging es. Man mußte einsehen, daß sie viel älter und ihr Leben lang einen gewissen Stil gewohnt gewesen war. Natürlich fiel es ihr viel schwerer, sich an eine Welt anzupassen, die auf den Kopf gestellt war. Die Tabletten zum Beispiel. Er war nicht gerade erfreut gewesen, als er feststellen mußte, daß sie ihre ganze verdammte Apotheke in einem Marmeladenglas mit Schraubverschluss mitgenommen hatte. Gelb Jacken, Quaalud, Darvon und ein Zeug, das sie »meine kleinen Muntermacher« nannte. Die kleinen Muntermacher waren rot. Drei von denen mit einem Schuß Tequila, und man zappelte den ganzen lieben Tag herum. Ihm gefiel das nicht, denn die Schlaff- und Muntermacher würden letztendlich dazu führen, daß man, wie Drogensüchtige das zu nennen pflegten, einen Affen auf dem Rücken hatte. Einen Affen, der schätzungsweise so groß wie King Kong war. Und es gefiel ihm nicht, weil es, wenn man der Sache auf den Grund ging, ja gewissermaßen ein Schlag ins Gesicht für ihn war. Was hatte sie für einen Grund, so nervös zu sein? Warum konnte sie nachts nicht einschlafen? Ihm machte das eindeutig keine Probleme. Wieso gab er denn nicht auf sie acht? Aber klar gab er auf sie acht.
Er ging zum Zelt zurück, zögerte aber einen Augenblick. Vielleicht sollte er sie schlafen lassen. Vielleicht war sie erschöpft. Aber...
Er sah nach unten und betrachtete Schwanzi, und Schwanzi wollte sie eigentlich nicht schlafen lassen. Das olle Star-Speckled Banana zu singen hatte ihn regelrecht geil gemacht. Also...
»Rita?«
Nach der frischen Morgenluft draußen traf es ihn wie ein Schlag; er mußte vorhin noch halb geschlafen haben, sonst hätte er es gleich gemerkt. Der Geruch war nicht übermäßig stark, weil das Zelt gut belüftet war, aber er war unverkennbar: der süßsaure Geruch von Erbrochenem und Krankheit.
»Rita?« Seine Unruhe wuchs, als er sie so reglos im Schlafsack liegen sah, aus dem nur der Haarschopf herausschaute. Er kroch auf Händen und Knien zu ihr hinüber, und der Geruch von Erbrochenem war jetzt so stark, daß sich sein Magen zusammenkrampfte. »Rita, ist alles in Ordnung? Wach auf, Rita!«
Keine Bewegung.
Er rollte sie herum und sah, daß der Reißverschluß des Schlafsacks halb aufgezogen war, als hätte sie nachts versucht herauszukriechen, vielleicht weil sie wußte, was ihr geschah; als hätte sie es versucht, aber es sei ihr nicht gelungen, und er hatte die ganze Zeit friedlich neben ihr geschlafen, Mr. Rocky Mountain High persönlich. Als er sie herumrollte, fiel ihr eine ihrer Tablettenflaschen aus der Hand, ihre Augen waren stumpfe,
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