The Stand. Das letze Gefecht
logisch gedacht (es war so gut , wieder logisch zu denken, denn in den vergangenen Tagen war sein ganzes Denken in einem ätzenden Säurebad des Entsetzens geformt worden), was konnte er schon mit sich führen, das jemand besitzen mochte? Was weltliche Güter anbelangte, gab es sie jetzt für jeden im Überfluß, weil herzlich wenig Leute übriggeblieben waren. Weshalb sollte sich jemand die Mühe machen, es zu stehlen und zu töten und sein Leben zu riskieren, wenn alles, wovon man je geträumt hatte, während man mit dem Katalog von Sears zwischen den Beinen auf dem Scheißhaus saß, jetzt umsonst hinter jedem Schaufenster in Amerika zur Verfügung stand? Nur die Scheibe einschlagen, reingehen und es sich nehmen.
Das heißt, alles, ausgenommen die Gesellschaft von Artgenossen. Dieses Gut war knapp, wie Larry selbst nur zu genau wußte. Und an eben diesem Gut war den Leuten gelegen, die ihn beobachteten, klarer Fall. Und das wiederum war der Grund dafür, daß er keine Angst hatte. Logik, süße Logik. Früher oder später würde ihr Wunsch nach Kontakt ihre Angst überwinden. Bis dahin würde er warten. Er wollte sie nicht aufscheuchen wie Rebhühner; das würde alles nur verschlimmern. Vor zwei Tagen wäre er wahrscheinlich selbst aus den Latschen gekippt, wenn er jemanden gesehen hätte. Da war die Angst einfach noch zu groß gewesen. Nun, er konnte warten. Aber, Mann, er wollte wirklich wieder jemanden sehen. Wirklich. Er ging zum Bach zurück und spülte das Eßgeschirr aus. Er fischte den Sechserpack aus dem Wasser und ging wieder zu seiner Schaukel. Er riß den Verschluß der ersten Dose auf und hob sie in Richtung des Restaurants, wo er die Schatten gesehen hatte.
»Auf euer Wohl«, sagte Larry und trank die halbe Dose auf einen Zug leer. Ging runter wie Butter, konnte man echt sagen. Als er den Sechserpack leergetrunken hatte, war sieben Uhr durch, und die Sonne machte sich zum Untergehen bereit. Er kickte die letzten glühenden Kohlen des Feuers auseinander und sammelte seine Sachen zusammen. Dann radelte er halb betrunken und voller Wohlbefinden eine Viertelmeile die Route 9 entlang, bis er ein Haus mit verglaster Veranda gefunden hatte. Er stellte das Rad auf dem Rasen ab, nahm den Schlafsack und öffnete die Verandatür mit einem Schraubenzieher.
Er drehte sich noch einmal in der Hoffung um, ihn oder sie oder mehrere zu sehen - sie folgten ihm noch, das spürte er -, aber die Straße war einsam und verlassen. Er betrat achselzuckend das Haus.
Es war noch früh, und er ging davon aus, daß er eine ganze Weile unruhig wach liegen und auf den Schlaf warten würde, aber offenbar mußte er immer noch Schlaf nachholen. Fünfzehn Minuten nachdem er sich hingelegt hatte, war er entschlummert, atmete langsam und gleichmäßig, das Gewehr in der Nähe seiner rechten Hand.
Nadine war müde. Es schien der längste Tag ihres Lebens zu sein. Sie war überzeugt, daß sie zweimal gesehen worden waren, einmal in der Nähe von Strafford, das zweite Mal an der Grenze von Maine und New Hampshire, als Joe über die Schulter geblickt und gerufen hatte. Ihr selbst war es einerlei, ob sie entdeckt wurden oder nicht. Dieser Mann war nicht verrückt, wie der Mann, der vor zehn Tagen an dem großen weißen Haus vorbeigekommen war. Es war ein Soldat gewesen, der unter der Last von Gewehren und Granaten und Patronengurten und Munition gestöhnt hatte. Und dann hatte er gelacht und geweint und gedroht, jemandem namens Lieutenant Morton die Eier abzuschießen. Lieutenant Morton war nirgends zu sehen gewesen, was wahrscheinlich gut für ihn war, falls er noch lebte. Auch Joe hatte Angst vor dem Soldaten gehabt, und in diesem Fall war vermutlich auch das ganz gut gewesen.
»Joe?«
Sie drehte sich um.
Joe war nicht mehr da.
Sie war müde, war fast schon eingeschlafen. Sie stieß die Decke zurück, stand auf und verzog das Gesicht wegen hundert Wehwehchen. Wie lange war es her, seit sie so viele Stunden auf einem Fahrrad gesessen hatte? Wahrscheinlich hatte sie das noch nie getan. Und dann die permanente, nervenaufreibende Anstrengung, den goldenen Mittelweg zu finden. Wenn sie dem Mann zu nahe kamen, würde er sie sehen, und das würde Joe beunruhigen. Wenn sie zu weit zurückblieben, wechselte er möglicherweise von der Route 9 auf eine andere Straße über, und sie verloren ihn. Das würde sie beunruhigen. Sie war nie auf den Gedanken gekommen, Larry könnte einen Kreis fahren und hinter sie gelangen. Glücklicherweise
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