The Stand. Das letze Gefecht
Geräusch in den Büschen oder vielleicht auch nur in seinem Kopf - ihn veranlaßte, sich umzudrehen. Da war nichts, nur die Route 9, die verlassen zurück nach New Hampshire führte.
Seit seinem Besuch in dem großen weißen Haus, wo er zum Frühstück Cornflakes und schon etwas schale Ritz Cracker mit Käsekrem aus der Sprühdose gegessen hatte, war er das Gefühl nicht losgeworden, daß er beobachtet und verfolgt würde. Er hörte etwas, sah vielleicht sogar etwas aus den Augenwinkeln. Seine Beobachtungsgabe, die in dieser seltsamen Situation erst langsam zu vollem Leben erwachte, sprach schon auf optische oder akustische Reize an, die so unmerklich waren, daß man sie fast schon unterbewußt nennen konnte, und bestürmte seine Nervenenden mit solch winzigen Stimuli, daß er selbst bei gesteigerter Wahrnehmungsfähigkeit nur eine vage Ahnung hatte, ein Gefühl des »Beobachtet-Seins«. Dieses Gefühl machte ihm aber keine Angst wie die anderen. Es hatte nichts mit Halluzinationen oder einem Delirium gemein. Wenn ihn jemand beobachtete und sich nicht zeigte, dann wahrscheinlich nur deshalb, weil dieser Jemand Angst vor ihm hatte. Und wenn er Angst vor dem armen alten und abgemagerten Larry Underwood hatte, der inzwischen zu feige war, mit einem Motorrad schneller als fünfundzwanzig Meilen pro Stunde zu fahren, brauchte Larry sich höchstwahrscheinlich wegen dieses Jemands keine Sorgen zu machen.
Jetzt stand er breitbeinig über dem Rad, das er vier Meilen östlich von dem großen weißen Haus aus einem Sportgeschäft geholt hatte, und rief deutlich: »Kommt doch raus, wenn jemand da ist! Ich tu' euch nichts.«
Keine Antwort. Er stand auf der Straße vor dem Schild, das die Grenze markierte, beobachtete und wartete. Ein Vogel zwitscherte und flog dann über den Himmel. Sonst bewegte sich nichts. Nach einer Weile fuhr er weiter.
Um sechs Uhr an diesem Abend erreichte er am Schnittpunkt von Route 9 und 4 die kleine Stadt North Berwick. Er beschloß, hier zu rasten und am nächsten Morgen zur Küste zu fahren. An der Kreuzung von 9 und 4 in North Berwick befand sich ein kleiner Laden. Dort holte er einen Sechserpack Bier aus der toten Kühltruhe. Black Label, eine Marke, die er noch nie probiert hatte - wahrscheinlich ein hiesiges Bier. Außerdem nahm er eine große Tüte Salz-und-Essig-Kartoffelchips von Humpty Dumpty und zwei Dosen Dinty Moore Beef Stew mit. Das alles verstaute er im Rucksack und ging zur Tür hinaus.
Auf der anderen Straßenseite war ein Restaurant, und dann hatte er für einen Augenblick den Eindruck, zwei Schatten gesehen zu haben, die dahinter verschwanden. Vielleicht hatten ihm seine Augen einen Streich gespielt, aber das glaubte er nicht. Er überlegte, ob er über den Highway laufen und versuchen sollte, die beiden aus ihrem Versteck zu scheuchen: Hopp-hopp, Kinder, Schluß jetzt, das Spiel ist vorbei. Er entschied sich dagegen. Er wußte, was Angst ist. Statt dessen schritt er ein Stück den Highway entlang und schob das Rad, an dessen Lenkstange der gefüllte Rucksack baumelte. Er sah ein großes Schulgebäude aus rotem Backstein, dahinter eine Baumgruppe. In diesem Hain sammelte er soviel Holz, daß er ein anständiges Feuer machen konnte, und entfachte es auf dem asphaltierten Spielplatz der Schule. In der Nähe war ein Bach, der an einer Textilfabrik vorbei und unter dem Highway hindurch floß. Dort kühlte er sein Bier und machte über dem Feuer eine Dose Rindfleisch warm. Er aß es aus seinem Pfadfindereßgeschirr und saß dabei auf einer Schaukel des Spielplatzes, schwang langsam hin und her, und sein Schatten fiel lang über die verblaßten Linien des Basketballfelds.
Er überlegte sich, warum er so wenig Angst vor den Menschen hatte, die ihm folgten - denn mittlerweile war er sicher , daß ihm welche folgten; mindestens zwei, möglicherweise mehr. In diesem Zusammenhang dachte er auch darüber nach, warum er sich den ganzen Tag über so ausgezeichnet gefühlt hatte, als wäre während des langen Schlafs am gestrigen Nachmittag ein schwarzes Gift aus seinem Körper ausgeschieden worden. Hatte er einfach nur Ruhe gebraucht? Nichts weiter? Es schien zu einfach.
Wenn man es logisch betrachtete, sagte er sich, hätten seine Verfolger ihm schon längst ein Leid zugefügt, wäre das ihre Absicht gewesen. Sie hätten aus einem Hinterhalt auf ihn geschossen oder ihn zumindest gewaltsam gezwungen, seine Waffen abzulegen. Sie hätten sich nehmen können, was sie wollten ... aber wieder
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