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The Stand. Das letze Gefecht

The Stand. Das letze Gefecht

Titel: The Stand. Das letze Gefecht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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zur Größe eines Abwasserrohrs angeschwollen war. Das Glück war ihr hold. Drei Tage später hatte der Knöchel wieder seine normale Größe, und das Fieber war weg. Der Junge vertraute ihr. Sonst offenbar keinem, aber ihr. Sie wachte morgens auf, und er klammerte sich an ihr fest. Sie waren zu dem großen weißen Haus gegangen. Sie nannte ihn Joe. Das war nicht sein richtiger Name, aber als Lehrerin hatte sie jedes Mädchen, dessen Namen sie nicht kannte, Jane und jeden Jungen Joe genannt. Der Soldat war vorbeigekommen, hatte gelacht und geweint und Lieutenant Morton verflucht. Joe wollte hinausstürzen und ihn mit dem Messer umbringen. Und jetzt diesen Mann. Sie fürchtete sich davor, ihm das Messer wegzunehmen, denn es war Joes Talisman. Wenn sie es versuchte, konnte ihn das gegen sie aufbringen. Sogar im Schlaf hielt er es fest in der Hand, und eines Nachts hatte sie versucht, es ihm wegzunehmen - nur um zu versuchen, ob es gelingen würde. Er war sofort aufgewacht, aus tiefem Schlaf. Im nächsten Augenblick hatten die beunruhigend blau-grauen Augen mit ihrem chinesischen Schnitt sie voll verhaltener Wildheit angestarrt. Er hatte das Messer mit leisem Knurren weggezogen. Gesagt hatte er nichts.
    Jetzt hob er das Messer, senkte es, hob es wieder. Knurrte tief in der Kehle und stieß das Messer in Richtung Veranda. Brachte sich möglicherweise in eine Art Trance, um tatsächlich die Tür zu stürmen.
    Sie trat hinter ihn und gab sich keine besondere Mühe, leise zu sein, aber er hörte sie trotzdem nicht; Joe war in seiner eigenen Welt. Einen Augenblick später packte sie ihn, ohne sich dessen recht bewußt zu sein, mit einer Hand am Handgelenk und drehte es brutal im Gegenuhrzeigersinn.
    Joe stieß einen zischenden Seufzer aus, und Larry Underwood regte sich im Schlaf, drehte sich um und lag wieder still. Das Messer fiel zwischen ihnen ins Gras; das silberne Mondlicht spiegelte sich auf den Zacken der Klinge. Sie sahen aus wie leuchtende Schneeflocken.
    Er blickte sie mit wütenden, vorwurfsvollen und mißtrauischen Augen an. Nadine erwiderte den Blick unnachgiebig. Sie deutete in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Joe schüttelte nachdrücklich den Kopf. Er deutete auf die Glaswand und die schlafende Gestalt im Schlafsack dahinter. Er machte eine gräßlich deutliche Geste, strich sich mit dem Daumen über Hals und Adamsapfel. Dann grinste er. Nadine hatte ihn noch nie grinsen gesehen; es durchlief sie kalt. Es hätte nicht wilder aussehen können, wenn die schimmernden weißen Zähne des Jungen spitz zugefeilt gewesen wären.
    »Nein«, sagte sie leise. »Sonst wecke ich ihn auf der Stelle.«
    Joe sah erschrocken drein. Er schüttelte hastig den Kopf.
    »Dann komm mit mir. Schlaf.«
    Er sah zu dem Messer hinunter, dann wieder zu ihr auf. Wenigstens war die Wildheit verschwunden. Er war nur noch ein hilfloser kleiner Junge, der seinen Teddy wollte oder die kratzige Decke, die ihn seit der Wiege begleitete. Nadine wurde klar, dies konnte der geeignete Zeitpunkt sein, ihm das Messer endgültig auszureden, einfach nur den Kopf zu schütteln: »Nein.« Aber was dann? Würde er schreien? Er hatte geschrien, nachdem der verrückte Soldat weitergezogen war. Immerzu geschrien, langgezogene, unverständliche Laute des Entsetzens und der Wut. Wollte sie den Mann im Schlafsack in der Nacht kennenlernen, während solche Schreie in ihren und seinen Ohren gellten?
    »Kommst du mit mir?«
    Joe nickte.
    »Gut«, sagte sie leise. Er bückte sich hastig und hob das Messer auf.
    Sie gingen gemeinsam zurück, und er kuschelte sich eng an sie; das Vertrauen war wieder hergestellt, der Störenfried wenigstens vorläufig vergessen. Er schlang die Arme um sie und schlief ein. Sie spürte den altbekannten Schmerz im Unterleib, der soviel tiefer und allumfassender war als derjenige, den die Anstrengung hervorrief. Es war ein Frauenschmerz, und dagegen konnte sie nichts tun. Sie schlief ein.

    In den frühen Morgenstunden wachte sie auf - sie trug keine Uhr -, war kalt und steif und entsetzt und fürchtete plötzlich, Joe könnte hinterhältig gewartet haben, bis sie schlief, um dann zum Haus zurückzuschleichen und dem Mann im Schlaf die Kehle durchzuschneiden. Joes Arme waren nicht mehr um sie geschlungen. Sie fühlte sich verantwortlich für den Jungen; sie hatte sich stets für die Kleinen verantwortlich gefühlt, die nicht darum gebeten hatten, auf die Welt zu kommen, aber wenn er das getan hatte, würde sie ihn verlassen.

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