The Stand. Das letze Gefecht
Augen oder große spitze Hörner, die ihm aus den Schläfen wuchsen. Wahrscheinlich sah er nicht viel anders aus als der Milchmann oder der Briefträger.
Sie vermutete, daß hinter dem bewußten Bösen eine unbewußte Schwärze war. Das zeichnete die irdischen Kinder der Finsternis aus; sie konnten nichts aufbauen, nur zerstören. Gott hatte den Menschen nach seinem Ebenbild erschaffen, und das bedeutete, daß jeder Mann und jede Frau unter Gottes Sonne eine Art Schöpfer war, jemand, der die Hand ausstrecken und die Welt nach einem rationalen Muster formen wollte. Der schwarze Mann wollte - konnte - nur zerstören. Der Antichrist? Man könnte genausogut sagen Antischöpfer.
Er hatte seine Anhänger, das war nichts Neues. Er war ein Lügner, sein Vater war der Vater der Lügen. Für seine Anhänger war er wie ein großes Neonzeichen hoch am Himmel, das sie mit gleißendem Licht blendete. Diese Lehrlinge der Zerstörung würden nicht erkennen, daß er, genau wie ein Neonzeichen, immer nur dasselbe simple Muster wiederholte. Ihnen würde nicht klarwerden, daß das Gas, welches die hübschen Muster in der komplexen Ansammlung von Röhren erzeugte, sofort stumm verpuffen und nicht einmal den Hauch eines Geruchs zurücklassen würde, wenn man es abließ. Einige würden irgendwann von allein zu diesem Schluß kommen - sein Reich würde nie ein Reich des Friedens sein. Wachtposten und Stacheldraht an den Grenzen seines Landes waren ebenso dazu bestimmt, die Bekehrten ein-wie die Eindringlinge auszusperren. Würde er siegen?
Sie hatte keine Gewißheit, daß er nicht siegen würde. Sie wußte, daß er von ihr wissen mußte wie sie von ihm, und nichts würde ihm mehr Vergnügen machen, als ihren dürren schwarzen Körper als Fressen für die Krähen an einem Kreuz aus Telefonmasten hängen zu sehen. Sie wußte, außer ihr hatten noch ein paar von Kreuzigungen geträumt, aber nur ein paar. Die hatten es ihr erzählt, aber sonst niemandem, vermutete sie. Aber nichts von alledem beantwortete die Frage:
Würde er siegen?
Sie wußte es nicht. Gott arbeitete im geheimen und wie es ihm gefiel. Es hatte ihm gefallen, die Kinder Israels über Generationen unter dem ägyptischen Joch schwitzen und fronen zu lassen. Es hatte ihm gefallen, Joseph in die Sklaverei zu schicken, ihm das feine bunte Gewand vom Leib reißen zu lassen. Es hatte ihm gefallen, den unglücklichen Hiob mit hundert Plagen zu strafen, und es hatte ihm gefallen zuzulassen, daß man seinen eigenen Sohn an einen Balken nagelte und über seinem Kopf einen schlechten Witz anbrachte.
Gott war ein Spieler - wäre er ein Sterblicher gewesen, dann hätte er zu Hause in Hemingford Home auf der Veranda von Pop Manns General Store über einem Schachbrett gesessen. Er spielte Rot gegen Schwarz, Weiß gegen Schwarz. Für ihn, dachte sie, war das Spiel mehr als die Kerze wert, es war die Kerze. Er würde herrschen zu seiner Zeit. Nicht unbedingt in diesem Jahr oder in den nächsten tausend... und sie würde die List des dunklen Mannes und die Verlockung, die er darstellte, nicht unterschätzen. Wenn er Neongas war, dann war sie das winzige dunkle Staubteilchen, über dem sich auf ausgetrocknetem Land eine Regenwolke bildet. Ein weiterer Soldat - wenn auch schon jenseits der Pensionsgrenze! - im Dienst des Herrn.
»Dein Wille geschehe«, sagte sie und griff nach der Packung Erdnüsse in ihrer Schürzentasche. Dr. Staunton, ihr letzter Arzt, hatte ihr gesagt, sie solle salziges Essen meiden, aber was wußte der schon? Sie hatte beide Ärzte überlebt, die sich seit ihrem sechsundachtzigsten Geburtstag angemaßt hatten, sie hinsichtlich ihrer Gesundheit zu beraten, und sie würde Erdnüsse essen, wenn sie welche wollte. Sie taten ihr verflixt am Gaumen weh, aber sie schmeckten doch so köstlich!
Während sie mampfte, kam Ralph Brentner den Weg zu ihrer Tür herauf, den Hut mit der Feder keck auf dem Hinterkopf. Als er an die Verandatür klopfte, nahm er ihn ab.
»Sind Sie wach, Mutter?«
»Das bin ich«, sagte sie mit dem Mund voller Erdnüsse. »Komm rein, Ralph«, sagte sie. »Ich kaue diese Erdnüsse nicht, ich quetsche sie mit dem Gaumen zu Tode.«
Ralph lachte und trat ein. »Draußen vor dem Zaun stehen ein paar Leute, die Sie gern begrüßen wollen, wenn Sie nicht zu müde sind. Sie sind vor ungefähr einer Stunde angekommen. Nette Leute, würde ich sagen. Ihr Anführer ist einer von diesen Langhaarigen, aber er scheint ganz in Ordnung zu sein. Sein Name ist
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