The Stand. Das letze Gefecht
war, als hätten Katholiken, Baptisten und Seventh-DayAdventisten sich mit den Demokraten und den Moonies zusammengetan, um ein religiös-politisches Disneyland zu schaffen. Der vordere Rasen war ein seltsames Tableau von Statuen. Ein dutzendmal die Jungfrau Maria, die in manchen Fällen gerade Schwärme von rosa Plastikflamingos zu füttern schien. Der größte Flamingo war größer als Tom selbst und stand auf einem Bein, das in einen meterlangen Stachel überging. Zwischen den Figuren stand ein riesiger Wunschbrunnen, in dessen verziertem Eimer ein großer, im Dunkeln leuchtender Plastikjesus stand, der die Hände ausgestreckt hatte. Neben dem Wunschbrunnen stand eine große Gipskuh, die anscheinend aus einem Vogelbad trank. Das Fliegengitter vor der Eingangstür wurde aufgestoßen, und Tom, mit bloßem Oberkörper, kam heraus, um sie zu begrüßen. Aus der Ferne, überlegte Nick, hätte man ihn mit seinen hellblauen Augen und dem rotblonden
Bart für einen kraftstrotzenden Schriftsteller oder Maler halten können. Wenn er näherkam, gab man diese Vorstellung zugunsten von etwas weniger Intellektuellem auf... vielleicht eine Art Handwerker aus der Gegenkultur, der Originalität zugunsten von Kitsch aufgegeben hatte. Und wenn er ganz nahe war und lächelte und mit einem Kilometer pro Stunde daherplapperte, wurde einem endgültig klar, daß es in Tom Cullens Oberstübchen nicht ganz richtig war.
Nick wußte, ein Grund, warum er sich so sehr mit Tom Cullen verbunden fühlte, war der, daß man ihn selbst früher für geistig zurückgeblieben gehalten hatte - anfangs, weil seine Behinderung ihn daran gehindert hatte, lesen und schreiben zu lernen, später dann, weil die Leute einfach davon ausgingen, wer taubstumm war, mußte geistig zurückgeblieben sein. Er hatte jeden umgangssprachlichen Ausdruck dafür schon einmal gehört. Nicht alle Tassen im Schrank. Plemplem. Einen Sparren locker haben. Dem Typ fehlt ein Zacken in der Krone. Er mußte an den Abend denken, als er im Zack's ein paar Bier trinken wollte, der Kneipe am Stadtrand von Shoyo - der Abend, als Ray Booth und seine Kumpane ihm aufgelauert hatten. Der Barkeeper hatte am anderen Ende der Bar gestanden, über die er sich vertraulich gebeugt hatte, um mit einem Kunden zu sprechen. Er hatte den Mund mit der Hand abgeschirmt, so daß Nick nur unvollständig verstand, was er sagte. Aber mehr mußte er auch nicht verstehen. Taubstumm... wahrscheinlich zurückgeblieben...
Von allen häßlichen Ausdrücken für geistige Behinderung gab es einen einzigen, der auf Tom Cullen zutraf. Nick selbst gebrauchte ihn in der Stille seines eigenen Verstands häufig und mit großer Anteilnahme. Der Ausdruck war: Der Typ spielt nicht mit einem vollen Blatt. Das war es, was mit Tom nicht stimmte. Darauf lief es hinaus. Das Elend in Toms Fall war, daß so wenig Karten fehlten, und noch dazu wertlose Karten - Kreuz zwei, Karo drei, was in der Art. Aber ohne diese Karten konnte man eben kein gutes Spiel spielen. Man konnte nicht einmal beim Solitaire gewinnen, wenn diese Karten im Blatt fehlten.
»Nicky!« schrie Tom. »Bin ich froh, dich zu sehen! Meine Fresse, ja!
Tom Cullen ist so froh!« Er schlang die Arme um Nicks Hals und drückte ihn an sich. Nick spürte, wie Tränen in seinem schlimmen Auge hinter der Klappe stachen, die er an sonnigen Tagen wie diesem immer noch trug. »Und Ralph auch! Und der da. Du bist... mal sehen...«
»Ich bin...« begann Stu, aber Nick brachte ihn mit einer brüsken Bewegung der linken Hand zum Schweigen. Er hatte Gedächtnistraining mit Tom gemacht, was Erfolg zu haben schien. Wenn man etwas, das man kannte, mit einem Namen assoziieren konnte, den man sich einprägen wollte, prägte er sich einem häufig ein. Auch das hatte Rudy ihm vor vielen Jahren beigebracht. Jetzt nahm er den Block aus der Tasche und kritzelte darauf. Dann gab er ihn Ralph, damit er ihn laut vorlas.
Ralph gehorchte stirnrunzelnd: »Was ißt du gerne, das in einer Schüssel mit Fleisch und Gemüse und Soße gemacht wird?«
Tom stand stockstill da. Sein Gesicht wurde reglos. Er sperrte den Mund auf und wurde zum Inbegriff eines Idioten.
Stu regte sich unbehaglich und sagte: »Nick, ich finde, wir sollten...«
Nick hielt einen Finger an die Lippen und brachte ihn zum Schweigen; im selben Augenblick erwachte Tom Cullen wieder zum Leben.
»Stew!« sagte er, lachte und machte Luftsprünge. »Du bist Stew!« Er sah Nick zur Bestätigung an, und Nick zeigte ihm das V für
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