The Stand. Das letze Gefecht
der schwarze Mann, im Schrank oder listig hinter der Spielzeugkiste in der Ecke versteckt, den sich ein Kind einbildet. Nichts weiter.
Aber es war mehr; sie konnte sich nicht einmal jetzt, im ersten kalten und vernünftigen Licht der Dämmerung, etwas anderes einreden. Es wäre gefährlich , sich etwas anderes einzureden. Er war es gewesen, und er hatte sie gewarnt. Der künftige Ehemann wachte über seine Versprochene. Und die geschändete Braut würde keine Gnade finden.
Sie sah zur Decke und dachte: Ich lutsche seinen Schwanz, aber das ist nicht geschändet. Ich lasse es zu, daß er ihn mir in den Arsch steckt, aber auch das ist nicht geschändet. Ich ziehe mich wie eine Straßenhure für ihn an, und das ist vollkommen in Ordnung.
Sie mußte sich doch fragen, was für ein Mann ihr Bräutigam eigentlich war.
Nadine sah lange, lange Zeit zur Decke hinauf.
Harold machte Instant-Kaffee, verzog das Gesicht beim Trinken und nahm ein paar kalte Pop-Tarts mit auf die Eingangsstufen. Er setzte sich, aß und sah zu, wie die Dämmerung über das Land kroch. Zurückblickend erschienen ihm die letzten Tage wie eine verrückte Jahrmarktsfahrt. Sie waren ein trübes Panorama von orangefarbenen Lastwagen; von Weizak, der ihm auf die Schulter klopfte und ihn Hawk nannte (sie nannten ihn jetzt alle so); von Leichen, einem endlosen verwesenden Strom; und nach soviel Tod ging es dann nach Hause zu einem endlosen Strom von abartigem Sex. Das reichte, einem den Kopf zu verwirren.
Aber jetzt, hier auf den Stufen zum Eingang, die so kalt wie ein Grabstein aus Marmor waren, und mit einer Tasse dieses widerlichen Kaffees im Magen, konnte er die nach Sägemehl schmeckenden kalten Pop-Tarts mampfen und nachdenken. Er war wieder klar im Kopf, normal nach einer Periode des Wahnsinns. Es kam ihm in den Sinn, daß er für einen Mann, der sich immer für einen Cro-Magnon-Menschen inmitten einer brüllenden Horde von Neandertalern gehalten hatte, in letzter Zeit sehr selten zum Nachdenken gekommen war. Er war herumgeführt worden, nicht an der Nase, sondern am Schwanz.
Als er jetzt zu den Flatirons hinübersah, mußte er an Frannie Goldsmith denken. Frannie war der ungebetene Besucher in seinem Haus gewesen, das wußte er jetzt mit Sicherheit. Er hatte sie unter einem Vorwand besucht, wo sie mit Redman hauste, und gehofft, sich ihre Schuhe näher betrachten zu können. Und es hatte sich herausgestellt, daß sie tatsächlich Schuhe trug, deren Sohlen dem Abdruck entsprachen, den er auf dem Kellerfußboden gefunden hatte. Kreise und Linien statt des normalen Waffel- oder Zickzackmusters. Keine Frage, Baby.
Er konnte es sich ohne große Mühe einigermaßen zusammenreimen. Irgendwie mußte sie herausgefunden haben, dass er ihr Tagebuch gelesen hatte. Er mußte auf einer Seite einen Schmutzfleck oder Fingerabdruck hinterlassen haben... vielleicht mehr als einen. Deshalb war sie in sein Haus gekommen, um nach einem Hinweis zu suchen, was er über das dachte, was er gelesen hatte. Etwas Schriftlichem.
Da war natürlich sein Hauptbuch. Aber er war sicher, daß sie es nicht gefunden hatte. In seinem Hauptbuch stand schwarz auf weiß, daß er Stuart Redman töten wollte. Wenn sie das gelesen hätte, hätte sie es Stu gesagt. Und selbst wenn sie es ihm nicht gesagt hätte, es wäre ihr unmöglich gewesen, so normal und unbefangen mit ihm zu reden wie gestern.
Er aß die letzte Tarte, verzog das Gesicht, als er auf den kalten Überzug und die noch kältere Marmeladenfüllung biß. Er beschloß, nicht das Motorrad zu nehmen, sondern zu Fuß zum Busbahnhof zu gehen; Teddy Weizak und Norris konnten ihn abends auf dem Heimweg absetzen. Er ging los und zog den Reißverschluß der leichten Jacke ganz hoch gegen die Kälte, die in spätestens einer Stunde vorbei sein würde. Er ging an den leeren Häusern mit den heruntergelassenen Jalousien vorbei, und als er auf der Arapahoe ungefähr sechs Blocks weit gegangen war, sah er an einer Tür nach der anderen ein kühnes X aus Kreide. Wieder sein Einfall. Der Beerdigungstrupp hatte alle Häuser überprüft, die mit einem X markiert waren, und die Leichen weggeschafft, die es wegzuschaffen gab. X, ein Durchstreichen. Die Menschen, die in den Häusern gewohnt hatten, wo das Zeichen auftauchte, waren für alle Zeiten fort. Noch ein Monat, dann würde das X überall in Boulder sein und das Ende eines Zeitalters kennzeichnen.
Es war Zeit, nachzudenken, und zwar gründlich nachzudenken. Ihm schien, als hätte er
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