The Stand. Das letze Gefecht
Vielleicht sollten wir Harold bitten, den da auch zu erledigen.
Ein Wort, das Nixon oft gebraucht hatte, kam Stu plötzlich in den Sinn, und als es ihm einfiel, begriff er die Ursache seiner Verzweiflung und Unsicherheit. Das Wort hieß »Mandat«. Sie hatten kein Mandat mehr. Es war vorgestern abend in Rauch und Flammen aufgegangen.
»Du magst wissen, wen du willst, Sheldon, aber ich kann mir vorstellen, daß einige andere Leute gern noch Zeit zum Nachdenken möchten. Stellen wir die Frage. Wer wünscht, daß wir die beiden neuen Repräsentanten heute noch wählen, ruft ja.«
Ziemlich viele Jas wurden gebrüllt.
»Und wer noch eine Woche darüber nachdenken will, ruft nein.«
Die Nein-Rufe waren lauter, wenn auch nicht allzu deutlich. Viele beteiligten sich überhaupt nicht an der Abstimmung, als würde das Thema sie gar nicht interessieren.
»Okay«, sagte Stu. »Die nächste Versammlung findet in einer Woche hier im Munzinger Auditorium statt, am elften September, dann werden wir für die beiden leeren Sitze im Komitee die Kandidaten nominieren und wählen.«
Ein ziemlich beschissener Nachruf, Nick. Tut mir leid.
»Dr. Richardson wird Ihnen über Mutter Abagail berichten und über die Leute, die bei der Explosion verletzt wurden. Doc?«
Richardson erhielt eine solide Runde Applaus, als er vortrat und die Brille putzte. Er erzählte ihnen, daß die Explosion neun Menschenleben gefordert hatte. Drei schwebten in Lebensgefahr, zwei waren schwer verletzt und acht auf dem Wege der Besserung.
»Bedenkt man die Wucht der Explosion, kann man sagen, das Glück war mit uns. Und jetzt zu Mutter Abagail.«
Sie beugten sich vor.
»Ich denke, eine allgemeine Auskunft und eine kurze Beschreibung ihres Zustands dürften genügen. Die Auskunft lautet: Ich kann nichts für sie tun.«
Ein Murmeln ging durch die Menge und verstummte. Stu sah Traurigkeit, aber keine Überraschung.
»Einwohner der Zone, die schon vor ihrem Verschwinden hier waren, haben mir erzählt, die Dame behauptet, sie sei hundertacht Jahre alt. Das kann ich nicht nachprüfen, aber ich kann sagen, daß sie das älteste menschliche Wesen ist, das ich je gesehen und behandelt habe. Man hat mir gesagt, daß sie zwei Wochen fort war, und meine Diagnose - nein, meine Vermutung - ist, daß sie während der ganzen Zeit keine zubereitete Nahrung zu sich genommen hat. Sie muß sich von Wurzeln, Kräutern, Gräsern und anderen Dingen ähnlicher Art ernährt haben.« Pause. »Sie hat seit ihrer Rückkehr einmal ein wenig Stuhlgang gehabt. Er enthielt kleine Zweige und Äste.«
»Mein Gott«, murmelte jemand, und es war unmöglich zu sagen, ob die Stimme einem Mann oder einer Frau gehörte.
»Ein Arm weist starke Einwirkungen von Giftsumach auf. Ihre Beine sind von Geschwüren bedeckt, die nässen würden, wenn ihr Zustand nicht so...«
»He, können Sie nicht aufhören?« brüllte Jack Jackson und stand auf. Sein Gesicht war blaß, wütend, elend. »Haben Sie keine verdammte Pietät?«
»Pietät ist nicht mein Anliegen, Jack. Ich berichte lediglich über ihren Zustand. Sie ist komatös, unterernährt, und, wichtiger noch, sehr, sehr alt. Ich vermute, daß sie sterben wird. Wenn es nicht gerade sie wäre, hätte ich das als Gewißheit hingestellt. Aber ich habe - wie Sie alle - von ihr geträumt. Von ihr und einem anderen.«
Wieder das leise Murmeln, wie ein vorüberziehender Windhauch, und Stu spürte, wie sich seine Nackenhärchen erst rührten und dann ins Achtung schnellten.
»Mir erscheinen Träume von so entgegengesetzter Art mystisch«, sagte George. »Die Tatsache, daß wir alle diese Träume hatten, scheint mindestens auf eine telepathische Fähigkeit hinzuweisen. Aber genau wie bei Pietät muß ich bei Parapsychologie und Theologie passen, und das aus einem einzigen Grund: Sie sind nicht mein Fach. Wenn die Frau von Gott ist, mag es ihm gefallen, sie zu heilen. Ich kann es nicht. Allein die Tatsache, daß sie noch lebt, erscheint mir wie ein Wunder. Soweit meine Ausführungen. Irgendwelche Fragen?«
Es gab keine. Sie sahen ihn wie betäubt an; einige weinten unverhohlen.
»Danke«, sagte George und kehrte in einem toten Meer des Schweigens zu seinem Platz zurück.
»Okay«, flüsterte Stu Glen zu. »Du bist dran.«
Glen näherte sich dem Podium ohne Ankündigun g und hielt sich mit zerstreutem Griff daran fest. »Wir haben alles diskutiert, nur nicht den dunklen Mann«, sagte er.
Wieder das Murmeln. Einige Männer und Frauen bekreuzigten
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