The Stand. Das letze Gefecht
daß Vegas nicht mehr existierte. Die Leute waren verdampft, mitsamt dem tödlichen Spielzeug, das dort überall herumlag und nur darauf wartete, daß jemand es mitnahm. Das alles mußte er noch auf den Zettel schreiben.
Aber nicht jetzt. Er war jetzt zu müde. Der Aufstieg hatte ihn erschöpft, und der Anblick der sich auflösenden Pilzwolke hatte ihn sogar noch mehr erschöpft. Er empfand nicht die geringste Freude, sondern nur eine dumpfe Müdigkeit. Er legte sich auf die Straße, und sein letzter Gedanke, bevor er einschlief, war: Wie viele Megatonnen? Aber das würde wahrscheinlich nie jemand erfahren oder erfahren wollen.
Er erwachte nach sechs Uhr. Die Pilzwolke war verschwunden, aber der Himmel im Westen war in ein zorniges Rosarot getaucht und sah aus wie eine große Brandwunde. Stu kroch zur Standspur hinüber und streckte sich aus. Er war schon wieder erschöpft. Er hatte auch wieder Schüttelfrost. Und Fieber. Mit dem Handgelenk berührte er die Stirn und versuchte, die Körpertemperatur zu schätzen. Nach seiner Vermutung betrug sie satte neununddreißig Grad. Kojak kam am frühen Abend mit einem Kaninchen im Maul zurück. Er legte es neben Stus Füße, wedelte mit dem Schwanz und wartete darauf, gelobt zu werden.
»Braver Hund«, sagte Stu müde. »Du bist ein braver Hund.«
Kojaks Schwanz bewegte sich noch schneller. Ja. Ich bin ein ganz schön braver Hund , schien er damit seine Zustimmung kundzutun. Aber er beäugte Stu weiter und schien auf etwas zu warten. Ein Teil des Rituals war unvollständig. Stu überlegte, was es sein könnte. Sein Gehirn funktionierte im Augenblick nur langsam. Jemand schien ihm, während er schlief, Melasse ins Getriebe geschüttet zu haben.
»Braver Hund«, wiederholte er und betrachtete das tote Kaninchen. Dann wußte er es, wenn er auch keine Ahnung hatte, ob er noch Streichhölzer besaß. »Hol, Kojak«, sagte er, hauptsächlich, um dem Hund eine Freude zu machen. Kojak sprang davon und kam mit einem großen trockenen Stück Holz zurück.
Er hatte seine Streichhölzer noch, aber der Wind wehte ziemlich stark und seine Hände zitterten. Es dauerte einige Zeit, bis das Feuer brannte. Die Späne brannten erst beim zehnten Streichholz, und dann blies der Wind die Flammen wieder aus. Vorsichtig zündete er es erneut an und hielt mit Körper und Händen den Wind ab. Er hatte jetzt noch acht Streichhölzer in einem Heftchen der LaSalle Business School. Er briet das Kaninchen und gab Kojak die Hälfte. Aber er schaffte seine Portion nicht und gab Kojak auch noch das restliche Fleisch. Kojak rührte es nicht an. Er betrachtete es und winselte Stu unruhig an.
»Los doch, Junge, ich kann nicht mehr.«
Jetzt erst fraß Kojak weiter. Stu beobachtete ihn, von Kälteschauern geschüttelt. Seine beiden Wolldecken lagen natürlich unten am Fuss des Hanges.
Die Sonne ging unter, und der westliche Himmel war von einer grotesken Färbung. Es war der spektakulärste Sonnenuntergang, den Stu in seinem Leben gesehen hatte... und es war Gift. Er konnte sich an den Berichterstatter in einer Movie-Tone-Wochenschau in den Fünfzigern erinnern, der einmal begeistert gesagt hatte, dass nach einer Atombombenexplosion die Sonnenuntergänge wochenlang immer besonders schön seien. Und nach Erdbeben, natürlich.
Kojak kam den Hang heraufgesprungen und trug etwas im Maul. Er ließ es Stu auf den Schoß fallen. Es war eine von Stus Wolldecken.
»He«, sagte Stu und umarmte ihn. »Du bist aber ein feiner Hund, weißt du das?«
Kojak wedelte mit dem Schwanz, um zu zeigen, daß er es wußte. Stu wickelte sich in die Wolldecke und legte sich näher ans Feuer. Kojak legte sich wieder neben ihn, und bald schliefen sie beide. Aber Stus Schlaf war leicht und unruhig. Immer wieder hatte er Fieberträume. Kurz nach Mitternacht weckte er Kojak, der im Schlaf wimmerte.
»Hap!« schrie Stu. »Stell lieber deine Pumpen ab! Er kommt! Der schwarze Mann kommt und holt dich! Stell lieber deine Pumpen ab!
Er ist in dem alten Auto da drüben!«
Kojak winselte beunruhigt. Der Mann war krank. Er konnte die Krankheit riechen. Und in diesen Geruch mischte sich ein neuer Geruch. Es war der Geruch der Kaninchen, die er gefangen hatte. Der Geruch war auch an dem Wolf gewesen, dem er die Eingeweide herausgerissen hatte, als er in Hemingford Home unter Mutter Abagails Veranda saß. Der Geruch war in den Städten gewesen, durch die er auf dem Weg nach Boulder und zu Glen Bateman gekommen war. Es war der Geruch des
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