The Stand. Das letze Gefecht
den Schlitz. Er betrachtete das Kleingeld, das noch auf der Ablage der Telefonzelle lag, suchte ein Zehncentstück heraus und steckte es in den Schlitz. Einen Moment später klingelte das Telefon seiner Mutter. Der erste Impuls ist, eine gute Nachricht anderen mitzuteilen, der zweite, damit jemanden zu erschlagen. Er dachte - nein, er glaubte -, daß ausschließlich ersteres der Fall war. Er wollte sich selbst und ihr mit der Auskunft Erleichterung verschaffen, daß er wieder flüssig war.
Ganz allmählich verschwand das Lächeln von seinen Lippen. Das Telefon klingelte nur. Vielleicht hatte sie sich doch noch entschlossen, zur Arbeit zu gehen. Er dachte an ihr gerötetes, fiebriges Gesicht, an ihr Husten und Niesen und dann, wie sie ungeduldig »Scheiße!« ins Taschentuch gesagt hatte. Er glaubte nicht, daß sie zur Arbeit gegangen war. Er war sich fast sicher, dass sie dazu gar nicht kräftig genug war.
Er legte auf und nahm zerstreut die durchgefallene Münze an sich, als sie zurückkam. Er ging hinaus und ließ das Geld in der Hand klimpern. Er sah ein Taxi und winkte ihm, und als das Taxi sich wieder in den Verkehr einfädelte, fing es an zu regnen. Die Tür war verschlossen, und als er zwei- oder dreimal geklopft hatte, war er sicher, daß niemand in der Wohnung war. Er hatte so laut geklopft, daß ein Stockwerk höher jemand zurückgeklopft hatte, wie ein erzürntes Gespenst. Aber er mußte hinein, um sich zu vergewissern, und er hatte keinen Schlüssel. Er wollte gerade nach unten in Mr. Freemans Wohnung gehen, da hörte er das leise Stöhnen hinter der Tür.
Die Wohnungstür seiner Mutter hatte drei verschiedene Schlösser, aber trotz ihrer fast krankhaften Angst vor Puertoricanern benutzte sie selten alle drei gleichzeitig. Larry warf sich mit der Schulter gegen die Tür, und sie knirschte im Rahmen. Er warf sich noch einmal dagegen, und das Schloß gab nach. Die Tür sprang auf und knallte gegen die Wand.
»Mom?«
Wieder dieses Stöhnen.
Die Wohnung lag im Halbdunkel; der Tag war plötzlich sehr finster geworden, es donnerte, und das Geräusch des Regens schwoll an. Das Wohnzimmerfenster war halb geöffnet, die weißen Gardinen bauschten sich über den Tisch, dann wurden sie wieder nach draußen durch die Öffnung und in den Luftschacht gesogen. An der Stelle, wo der Regen eingedrungen war, war ein großer, nasser Fleck auf dem Fußboden.
»Mom, wo bist du?«
Ein lautes Stöhnen. Er ging in die Küche, und wieder grollte der Donner. Er wäre fast über sie gestolpert. Sie lag auf dem Fußboden, halb im Schlafzimmer, halb draußen.
»Mom! Mein Gott, Mom!«
Als sie seine Stimme hörte, versuchte sie, sich umzudrehen, aber sie konnte nur den Kopf bewegen - sie drehte das Kinn, bis es auf der linken Wange lag. Ihr Atem klang röchelnd und verschleimt. Aber das Schlimmste war - ein Anblick, den er nie vergessen würde -, wie ihr sichtbares Auge sich nach oben drehte und ihn anglotzte wie das eines Schweins im Schlachthaus. Ihr Gesicht glühte vor Fieber.
»Larry?«
»Ich bring' dich ins Bett, Mom.«
Er bückte sich, wehrte sich wütend gegen das Zittern in den Knien und nahm sie in die Arme. Ihr Morgenmantel glitt zur Seite und entblößte ein verwaschenes Nachthemd und ihre von dicken blauen Krampfadern durchzogenen fischbauchweißen Beine. Sie glühte förmlich. Er war entsetzt. Niemand konnte so hohes Fieber haben und am Leben bleiben. Das Gehirn mußte ihr im Kopf backen. Wie zur Bestätigung sagte sie: »Larry, hol deinen Vater. Er ist in der Kneipe.«
»Sei ruhig«, sagte er bestürzt. »Sei ruhig und schlaf, Mom.«
»Er ist in der Kneipe mit diesem Fotografen!« rief sie schrill in das greifbare Halbdunkel des Nachmittags, und draußen krachte wütend der Donner. Larry hatte ein Gefühl, als wäre sein Körper mit langsam fließendem Schleim bedeckt. Vom halb geöffneten Fenster im Wohnzimmer her wehte ein kühler Wind durch die Wohnung. Als würde sie darauf reagieren, begann Alice zu zittern und bekam eine Gänsehaut an den Armen. Sie klapperte mit den Zähnen. Ihr Gesicht war ein Vollmond im Halbdunkel des Schlafzimmers. Larry zog die Decke herunter, legte ihre Beine aufs Bett und zog ihr die Decke bis zum Kinn. Trotzdem zitterte sie hilflos, so daß die Decke sich heftig bewegte. Ihr Gesicht war trocken und ohne Schweiß.
» Geh und sag ihm, daß ich gesagt hab', er soll da rauskommen! « rief sie, und dann war sie still, abgesehen von ihrem bronchitischen Atmen.
Ihr Gesicht war
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