The Stand. Das letze Gefecht
Telefonnummer im Harborside ohne Moralpredigt gegeben. Trotzdem hatte er gleich zu Anfang gesagt: »Du hast 'ne Menge Zoff daheim, was?«
»Etwas«, sagte sie zurückhaltend, weil sie sich nicht darüber auslassen wollte. Das würde sie in gewisser Weise zu Mitverschwörern machen.
»Deine Mutter?«
»Wie kommst du darauf?«
»Weil sie der Typ zu sein scheint, der ausflippt. Das sieht man in den Augen, Frannie. Wenn du meine heiligen Kühe schlachtest, schlachte ich deine.«
Sie schwieg.
»Tut mir leid. Ich wollte dich nicht beleidigen.«
»Das hast du nicht«, sagte sie. Seine Beschreibung war sogar ziemlich zutreffend - an der Oberfläche zutreffend jedenfalls -, aber sie war immer noch bemüht, ihre Überraschung über das Verb beleidigen zu überwinden. Aus seinem Mund war das ein seltsames Wort. Vielleicht ist es ja ein Signal, dachte sie. Wenn dein Liebhaber anfängt, von »beleidigen« zu sprechen, ist er nicht mehr dein Liebhaber.
»Frannie, das Angebot steht noch. Wenn du ja sagst, kann ich zwei Ringe besorgen und noch heute nachmittag vorbeikommen.«
Auf dem Fahrrad, dachte sie und kicherte fast. Ein Kichern wäre etwas Gräßliches gewesen, das sie ihm nicht antun mußte, daher hielt sie den Hörer einen Moment zu, bis sie sicher war, daß es nicht herauskommen würde. Sie hatte in den vergangenen sechs Tagen mehr geweint und gekichert als in der ganzen Zeit, seit sie fünfzehn und zum ersten Mal mit einem Jungen ausgegangen war.
»Nein, Jess«, sagte sie mit ruhiger Stimme.
»Es ist mein Ernst!« sagte er überraschend nachdrücklich, als hätte er gesehen, wie sie das Kichern unterdrückte.
»Das weiß ich«, sagte sie. »Aber ich bin noch nicht bereit für eine Ehe. Ich kenne mich, Jess. Das hat nichts mit dir zu tun.«
»Was ist mit dem Baby?«
»Ich werde es bekommen.«
»Und weggeben?«
»Das weiß ich noch nicht.«
Er schwieg einen Augenblick, und sie konnte andere Stimmen in anderen Zimmern hören. Sie hatten eigene Probleme, vermutete sie. Junge, die Welt ist ein Drama rund um die Uhr. Wir lieben unser Leben, und daher halten wir nach dem Licht Ausschau, das uns leitet, so wie wir nach dem Morgen suchen.
»Ich habe echte Zweifel, was das Baby betrifft«, sagte er schließlich. Das bezweifelte wiederum sie, aber wahrscheinlich war es das einzige, was er ihr sagen konnte, das wirklich weh tat. Und es tat weh.
»Jess...«
»Wohin gehst du?« fragte er brüsk. »Du kannst nicht den ganzen Sommer über im Harborside bleiben. Wenn du eine Bleibe brauchst, kann ich mich in Portland umsehen.«
»Ich habe eine Bleibe.«
»Wo? Oder geht mich das nichts an?«
»Das geht dich nichts an«, sagte sie und biß sich auf die Zunge, weil sie keine diplomatischere Möglichkeit gefunden hatte, es ihm zu sagen.
» Oh«, sagte er. Seine Stimme klang seltsam tonlos. Schließlich sagte er vorsichtig: »Kann ich dich etwas fragen, ohne daß du gleich sauer wirst, Frannie? Ich will es nämlich wirklich wissen. Es ist keine rhetorische Frage, oder so.«
»Frag ruhig«, sagte sie argwöhnisch. Sie wappnete sich geistig schon dagegen, sauer zu werden, denn wenn Jess mit so einer Eröffnung kam, dann folgte meistens eine scheußliche und vollkommen unerwartete Lektion Chauvinismus.
»Habe ich in dieser ganzen Sache überhaupt keine Rechte?« fragte Jess. »Kann ich nicht auch Mitverantwortung übernehmen und mit entscheiden?«
Einen Moment war sie sauer, aber dann flaute das Gefühl ab. Jess war eben nur Jess, er versuchte, das Bild zu beschützen, das er von sich selbst hatte, wie es alle denkenden Menschen machen, damit sie nachts schlafen können. Sie hatte ihn immer auch wegen seiner Intelligenz gemocht, aber in so einer Situation konnte Intelligenz langweilig sein. Menschen wie Jess - und auch sie selbst - hatten ihr Leben lang eingebleut bekommen, daß es gut und richtig war, sich Aufgaben zu setzen und aktiv zu sein. Manchmal mußte man sich verletzen - und zwar schlimm -, damit man einsah, es war besser, sich ins hohe Gras zu legen und zu zögern. Seine Fangnetze waren schön geknüpft, aber es waren und blieben trotzdem Fangnetze. Er wollte sie nicht davon lassen.
»Jess«, sagte sie, »wir wollten dieses Baby beide nicht. Wir haben uns geeinigt, daß ich die Pille nehme, damit es nicht dazu kommt. Du hast keine Verantwortung ...«
»Aber...«
»Nein, Jess«, sagte sie mit Nachdruck.
Er seufzte.
»Meldest du dich, wenn du umgezogen bist?«
»Ich denke schon.«
»Hast du immer noch
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