The Volunteer. Erinnerungen eines ehemaligen IRA-Terroristen (German Edition)
ist mein Blut“ wurden als wörtlich und absolut gesehen, während „Liebt eure Feinde und tut denen Gutes, die euch bedrängen“ zu einer „Doktrin des Gerechten Krieges“ umgedeutet wurde, die es tatsächlich gestattete, seine Feinde zu verstümmeln oder zu töten.
Die Theorie des Gerechten Krieges mag „gerechtfertigte“ oder „legitime“ Ziele beschreiben, doch in der Praxis verwischen die Grenzen. Gewalt, ob gerechtfertigt oder nicht, entzieht sich jeglicher Beherrschung. Immer wieder werden Unbeteiligte durch Irrläufer und Bomben verletzt oder getötet. Selbst die beste Technologie kann die Reichweite der Gewalt nicht beschränken. Die Erfahrungen, die ich selbst damit machte, als ich unschuldige Mitmenschen verletzte, überzeugten mich so sehr davon, dass ich mich unausweichlich einer pazifistischen Einstellung näherte. Meine Angriffe auf militärische oder politische Ziele konnte ich nicht mehr als „gerechtfertigt“ oder „legitim“ verteidigen – ich hatte jetzt das Gefühl, nur eine pazifistische Haltung sei wirklich ethisch und im Sinne Christi. Wahrscheinlich beschäftigte mich dabei der Gedanke, dass einzig und allein eine pazifistische Einstellung einem ein reines Gewissen ermöglichte, weil man niemanden verstümmelte oder tötete und also keine Schuld auf sich lud. Allerdings musste aktiver Pazifismus natürlich noch mehr bedeuten als nur, dass man sich von Gewaltanwendung fernhielt.
Wie viele Gefangene hatte ich Vorbehalte gegenüber dem Wort „Reue“. Es konnte so leicht unaufrichtig benutzt werden. Mein Eindruck war – und ist immer noch –, dass dabei Taten erheblich mehr beweisen als man je mit diesem Wort ausdrücken kann. Ich hielt (und halte) es da eher mit dem Wort des Heiligen Jakobus, das ich hier neu formuliere: „Zeigt mir eure Reue ohne Taten, und ich zeige euch meine Reue durch meine Taten“. Ich mag es auch nicht, wenn man mich fragt, ob ich meine Vergangenheit bereue – mir wäre es lieber, wenn man die Antwort in meinen Taten suchte.
Ich hatte als Antwort auf einen Artikel in ihrem Journal bereits ausführlich an die „Howard League“ über Aussöhnung mit Opfern geschrieben, und Martin Wright war dabei, Auszüge aus meinen Briefen für ihren Newsletter zusammenzustellen. Mich beschäftigte nun die Frage, ob ich meinen Opfern schreiben sollte, um meine Entschuldigung und dazu etwas Erklärendes anzubieten. Falls einige von ihnen befürchteten, die IRA könne es auf sie abgesehen haben, weil sie schriftliche Aussagen gegen mich zu Protokoll gegeben oder auch vor Gericht gegen mich ausgesagt hatten, konnte ich ihnen diese Angst vielleicht nehmen. Schließlich bat ich Lord Longford darum, bei der Strafvollzugsbehörde nachzufragen, ob man mir gestatten würde, an meine Opfer zu schreiben. Damit begann ein langer Kampf mit einem widerstrebenden Innenministerium um die Genehmigung. Britische Minister und Gefängnisvorstände waren allen Häftlingen gegenüber ablehnend eingestellt, aber natürlich ganz besonders gegenüber einem IRA-Mann, der moralisch etwas Besseres als Abschaum sein wollte.
Mein Vorschlag war, dass zunächst ein Vermittler meine Opfer anschreiben sollte, um ihnen zu erklären, dass ich um Entschuldigung bitten wollte, und um zu fragen, ob sie von mir hören wollten – das ließ ihnen die Wahl. Ich hatte auch angeregt, dass der Vermittler in seinem Schreiben wohlwollend und mit ausdrücklicher Ermutigung auf den Aussöhnungsprozess hinweisen sollte. Nach langem Hin und Her befand das Innenministerium, dass ich meinen Opfern schreiben dürfte, aber nur, wenn sie bereit waren, von mir zu hören. Als Vermittler wurde der römisch-katholische Kaplan benannt, dessen Brief aber neutral statt ermutigend zu sein hatte. Pater Ennis, zweifellos mein bester Freund innerhalb des Gefängnisses, war kein gewöhnlicher Priester. Er war Vollzeitbediensteter der Gefängnisseelsorge, galt damit als Beamter und wurde auch als solcher bezahlt. Er hatte einen Verschwiegenheitseid geleistet und war dem Innenministerium unterstellt. Ich wusste zwar, dass er mich unterstützte, und willigte in die Bedingungen ein, aber ich dachte auch, dass ein Opfer einen trockenen, bürokratischen Brief über mich, den es erhielt, wohl wegwerfen würde. Ich brauchte unbedingt einen Brief, der sich des Anliegens der Versöhnung wohlwollend annahm, sollte aber keinen solchen bekommen. Damit musste ich mich wohl oder übel abfinden.
Ich war also wirklich überrascht, als etwas
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