The Volunteer. Erinnerungen eines ehemaligen IRA-Terroristen (German Edition)
bekam ich mehrmals weitere 56 Tage Einzelhaft, weil ich mich geweigert hatte, die Einzelhaft zu beenden. Diese Protestaktion dauerte etwa drei Jahre.
Jeder, der sehr lange in Einzelhaft protestierte, wurde zwangsläufig zu einer Art Anstalts-Berühmtheit, und so erging es auch mir. Zwar mochten die Wärter mich hassen, aber mein Haftverhalten war so nachvollziehbar und berechenbar, dass man wohl daraus ablesen konnte, dass außergewöhnliche und verschärfte Sicherheitsmaßnahmen bedeutungslos waren. Ich weiß noch, wie ich an einem Weihnachtsmorgen vom Einzelhaft-Bau zur Morgenmesse ging. (Von etwa vierhundert Gefangenen betraten nur eine Handvoll jemals die Kirche.) Dort grüßte mich die Frau eines Gefängnisangestellten und überreichte mir ein Weihnachtspäckchen. Sie sorgte auch persönlich dafür, dass ich es mit zurück in meine Einzelzelle nehmen konnte. Dabei setzte sie ihren Posten in der Bildungsabteilung der Haftanstalt aufs Spiel, nur um sich mir wohltätig zu erweisen. Ihr gütiges Handeln rührte mich und stellte meinen angeschlagenen Glauben an die Menschheit wieder her. Mir fiel dazu ein Satz ein, den ich in „Vom Winde verweht“ gelesen hatte und den die Strafvollzugsbehörde hätte beherzigen sollen: „Mit Zucker fängt man mehr Fliegen als mit Essig“ ...
Im Gefängnis gilt die Regel, dass alles zuerst sehr schlimm werden muss, bevor es besser wird. Im November 1983 hatte ich gegen einen Angriff auf zwei schwarze Häftlinge in der Sonderverwahrungs-Abteilung der Haftanstalt Long Lartin protestiert. Man brachte mich als Strafe zur zeitweiligen Einzelhaft in das Gefängnis Winson Green in Birmingham und danach wieder zur Einzelhaft nach Long Lartin. Die freundlichen Wärter ließen mir eine solche Sonderbehandlung angedeihen, dass ich zum allerletzten Mittel der Selbstverteidigung in Einzelhaft greifen musste, das keine Gewaltanwendung war: Ich mischte Kot mit Urin und goss die Mischung auf das Heizungsrohr und andere Stellen in meiner Zelle, um mir die Kerle vom Leib zu halten. Natürlich bekam ich dafür wieder externe Einzelhaft, diesmal über Weihnachten und den Jahreswechsel im Gefängnis von Bristol.
Wenn man mich in Frieden ließ, verhielt ich mich immer mustergültig, aber sobald die Wärter begannen, mich zu misshandeln, musste ich mich entscheiden: Entweder ließ ich es zu, wodurch es dann erheblich schlimmer wurde, oder ich nahm von Anfang an eine klare Gegenhaltung ein und versuchte, der Sache eine Ende zu setzen. In Bristol wurde es leider immer schlimmer, und ich musste protestieren. Eines Morgens hatte ich eine Rasierklinge beantragt, um während der Frühstückszeit Zeitungsartikel auszuschneiden, die meinen Fall behandelten und die ich für meine Korrespondenz mit den Parlamentsvertretern fotokopieren wollte. Ich bekam eine kleine Klinge und machte mich an die Arbeit. Aber als der Wärter, der sie mir gegeben hatte, zum Frühstück ging, kam ein anderer in meine Zelle und wollte sie wiederhaben. Ich sagte, dass ich sie brauchte und auch Erlaubnis hatte, sie zu benutzen. Er verlangte sie trotzdem, aber ich gab sie ihm nicht. Daraufhin ging er hinaus, drückte den Alarmknopf und wartete auf das Überfallkommando, das er zu dann meiner Zelle führte.
Vor meiner Tür hockten eine Menge Wärter mit Schilden, Helmen, Kinngurten, Knüppeln und viel Adrenalin und schrien mich an, ich solle die Klinge abgeben. Ich stand da, die winzige Klinge in der einen und einem Zeitungsartikel in der anderen Hand, und dachte: „Ihr Scheißkerle!“ In der angespannten Stille hielt ich die Klinge von mir, bog sie zwischen Daumen und Zeigefinger zusammen, bis sie zersprang, und dann warf ich ihnen die winzigen Splitter vor die Stiefel. Erst wichen sie vor Schreck zurück, dann aber stürmten sie auf mich los und schleiften mich zu einer Strafabteilung. Dort warf man mir Waffenbesitz vor, befand mich für schuldig und brummte mir weitere Einzelhaft auf. Ich konnte mir denken, dass irgendwelche entfernten Minister diese erdichtete Anklage gegen meine Fürsprecher im Parlament benutzen würden, und genauso kam es auch. Wieder stand ich vor der Wahl, den Wärtern den Eindruck zu lassen, dass sie mit mir machen konnten, was sie wollten, oder ihnen eine Grenze zu zeigen. Ich entschied mich für das letztere und protestierte so heftig, dass ich in eine innerhalb einer Zelle abgeteilte „Leerzelle“ gesteckt wurde, wo ich nur ein Holzbrett als Bett und einen Plastiknachttopf zur Gesellschaft hatte.
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