The Volunteer. Erinnerungen eines ehemaligen IRA-Terroristen (German Edition)
mehr als die Hälfte der Angeschriebenen auf den nachdenklichen Brief reagierte. Einer lehnte mein Ansinnen ab, die übrigen wollten es alle annehmen. Ein weiteres Opfer, Reginald Maudling, der britische Innenminister zur Zeit des Bloody Sunday, war vor einiger Zeit eines natürlichen Todes gestorben. Nun schrieb ich also, so gut wie es mir unter den Beschränkungen durch die Zensur nur möglich war. Jeder einzelnen Person versuchte ich zu erklären, was mich zu meiner Tat bewegt hatte, und entschuldigte mich von ganzem Herzen dafür, dass ich sie (je nach Fall) beabsichtigt oder unbeabsichtigt zu verletzen versucht oder tatsächlich verletzt hatte.
Nachdem ich die ganze Angelegenheit als absolut privat behandelt hatte, war ich ziemlich schockiert, als wenig später ein britisches Sonntagsblatt, „News of the World“, einen Artikel mit der Überschrift „Zorn über Entschuldigungen von IRA-Bomber“ brachte. Er enthielt Fotos von Opfern, die, anders als in dem Artikel behauptet wurde, meine Entschuldigung angenommen hatten. Die eine Person, die sich geweigert hatte, einen Brief von mir zu empfangen, hatte offenbar der Zeitung die Geschichte zugetragen. Sinngemäß besagte der Artikel, ein IRA-Mann sei ein Riesenarschloch, wenn er sich nicht bei seinen Opfern entschuldigte, und ein noch viel größeres Riesenarschloch, wenn er es tat. Das Ganze gab mir ein Gefühl der Verbitterung. Natürlich wurde mit keinem Wort erwähnt, dass die Briten nicht im Traum daran dachten, sich bei ihren irischen Opfern für jahrhundertelange „Nachbarschaftlichkeit“ zu entschuldigen. Nichts ruft meinen Ärger so sehr hervor wie diese Art Scheinheiligkeit, die die britischen Medien so meisterlich pflegen.
Diese Erfahrung warf mich innerlich sehr zurück, und andere britische und irische Häftlinge fragten mich, wieso ich mir überhaupt die Mühe gemacht hatte, mich zu entschuldigen. In den folgenden elf Jahren, die ich in Haftanstalten zubrachte, traf ich auch nie einen anderen Gefangenen, der sich bei seinem Opfer bzw. seinen Opfern entschuldigte, was mich nicht überraschte. Wieder einmal ärgerten sich manche meiner IRA-Mithäftlinge über meine Entschuldigungen. Einer sagte mir sogar, ich sei wohl verrückt und brauchte psychiatrische Hilfe.
Die Gefängnisverwaltung sah das genauso. Aus heiterem Himmel hieß es plötzlich, ich würde in der Krankenabteilung von Wormwood Scrubs gebraucht. Ich hatte keine Ahnung, wer mich da brauchte, und warum. Eines Nachmittags musste ich mich einer Gruppe Sexualstraftäter anschließen, die sich zur psychiatrischen Einstufung in die Krankenstation begeben sollten. Als wir dort ankamen, wurde ich in ein Arztzimmer gerufen. In dem Raum war es völlig dunkel, nur ein blendendes Licht war auf einen Stuhl bei der Tür gerichtet. Eine körperlose Stimme sagte: „Setzen!“ Ich blieb stehen, wo ich war und fragte: „Wer sind Sie und warum wollen Sie mich sprechen? Wer hat gesagt, dass er mich in der Krankenabteilung braucht?“ Die Stimme wiederholte: „Setzen! Einfach hinsetzen!“ Mittlerweile hatten meine Augen sich an das helle Licht gewöhnt, und ich konnte jetzt dahinter zwei Männer erkennen, die dicke Aktenordner hielten. „Wenn Sie meine Fragen nicht beantworten wollen, will ich Ihre auch nicht beantworten. Auf Wiedersehen.“ Damit ließ ich sie in der Dunkelheit stehen und begab mich wieder in das D-Gebäude.
Wie ich später erfuhr, glaubte die Gefängnisverwaltung jahrelang, alles, was ich seit meiner Verurteilung im Old Bailey gesagt und getan hatte, sei ein Versuch, sie hinters Licht zu führen. Immer wieder hörte ich von ein paar mir freundlich gesonnenen Leuten im Gefängnis und von Politikern draußen, die sich beim Innenministerium für mich eingesetzt hatten, ich sei zu intelligent, als dass man mir traute. Die Tatsache, dass ich die lange Zeit der Einzelhaft in Nacktheit und ohne Besuche ausgehalten hatte, sah man als Beweis an, dass ich eine Art „böses Superhirn“ sei, das langfristig plante, sich unter dem Haufen von Lebenszeit-Verurteilungen des Old Bailey irgendwie hervorzuwühlen und dann im Alleingang den britischen Staat zu zerrütten!
Es gab noch weitere Dinge, die dazu beitrugen, dass ich mit der Justizvollzugsbehörde aneinander geriet. Kurz zuvor hatte ich einige irische Gefangene kennengelernt, die, wie mir die anwesenden IRA-Leute versicherten, völlig unschuldig an den Bombenaktionen waren, für die man sie verurteilt hatte. Das konnte ich zuerst
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